Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
weitere zwei Uniformierte wachten.
Bald erreichten wir die geschlossene Tür von Raum 822.
»Hören Sie, ich appelliere an Sie«, sagte Sykes, der ins Schwitzen geriet und sich mit seinem Seidentuch das Gesicht abwischen musste. »Ich habe die gesamte Klinik am Hals. Ebenso den stellvertretenden Beauftragten, weil der den Beauftragten am Hals hat, weil der Bürgermeister bereits ein Treffen mit den Eltern des Arztes angesetzt hat und die Medien verrückt darauf sind, hier eine Pressekonferenz abzuhalten.«
»Ja«, sagte Goode und rümpfte die Nase – wahrscheinlich wegen der Vorstellung, wie ein stellvertretender Beauftragter sich an Sykes Hals hängt, »können wir nachfühlen.«
Bei unserem Eintritt hatten die Wachleute der Klinik bereits die Mannschaft von Channel Five hinausgescheucht.
»Und verstehen Sie richtig«, sagte Sykes zu mir, »was diese Patientin auch sagt, es kann Auswirkungen haben, daher ist es sehr wichtig, dass Sie zu einer Besprechung hierbleiben.«
Ich zählte auf Fallon, und er sprang ein.
»Wie ich Ihnen sagte«, meinte er, »wir kümmern uns um alles.«
Dann winkte er dem Uniformierten vom NYPD, der draußen vor Zimmer 822 Wache stand, die Tür zu öffnen.
Der Mord hatte die alte Dame in ein Privatzimmer mit einem größeren Fernsehapparat befördert, aber bei meinem Anblick stellte sie das Gerät auf stumm. In Zimmer 848 hatte ich sie nicht gut zu Gesicht bekommen. In Zimmer 822 wurde das Morgenlicht durch den Regen und die schmutzigen Fenster gedämpft und vereinigte sich zu einer sehr deprimierenden Kombination mit dem Neonlicht über ihrem Bett.
Sie war wahrscheinlich etwa fünfundsiebzig, kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte, und trug jetzt eine altmodische Quilt-Bettjacke und roten Lippenstift. Ihr kurzes graues Haar lag ihr wie Blasen ums Gesicht, und ihre knochigen Finger waren durch Arthritis schwer verkrümmt. Bei meinem Anblick blinzelte sie heftig, als könne sie dadurch ein Bild aus der Nacht zuvor heraufbeschwören. Dann zeigte sie auf einen Klappstuhl.
»Ziehen Sie diesen Stuhl dorthin, wo ich Sie sehen kann!«, befahl sie.
Ich rückte den Stuhl näher ans Bett und setzte mich.
»Schön, Sie zu sehen, Mrs …?«
Sie nahm eine Brille von ihrem Tablett, setzte sie auf und beugte sich vor.
»Mrs Newell. Aber Sie können mich Margaret nennen«, antwortete sie.
»Okay, Margaret«, sagte ich. »Ich bin Keyser.«
»Wie haben sie Sie gefunden?«
»Ich habe mich gestellt.«
»Ihre Freundin auch?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte ich. »Ich habe die Rechnung bezahlt. Sie muss nicht zurückkommen.«
»Wie geht es ihr?«
»Ihr geht’s gut.« Ich lächelte. »Ich richte ihr aus, dass Sie gefragt haben.«
»Sie war schön«, sagte Margaret Newell. »Obwohl sie ziemlich durchgeprügelt worden war. Aber wegen ihr haben mich alle übersehen. Ich habe um Ginger Ale gebeten, und sie haben mir Apfelsaft gebracht.«
»Das wird ihr leidtun zu hören, aber um auf die Ereignisse zurückzukommen …«
»Warum sind Sie heute nicht in Uniform?«
»Ich habe Landurlaub«, gab ich zur Antwort. »Sie wollten letzte Nacht etwas zu trinken, erinnern Sie sich?«
»Ich bin aus einem Traum erwacht«, erwiderte sie. »Ich trinke nichts. Na ja, vielleicht hin und wieder ein Glas Wein …«
»Wie haben Sie bemerkt, dass ich ein Seemann bin, wenn Sie geschlafen haben?«, fragte ich.
»Ich habe nicht geschlafen, als ich den Arzt und das Mädchen über einen Seemann sprechen hörte.«
»Sie haben Detective Fallon gesagt, dass Sie sich an nichts erinnern, nachdem meine … Freundin und ich gegangen sind, weil Sie wieder eingeschlafen sind«, sagte ich. »Aber jetzt erinnern Sie sich an etwas?«
»Ich bin nicht wieder eingeschlafen. Wie hätte ich schlafen können?«, fragte sie. »Ich habe nach der Nachtschwester geläutet, die mir eine Tablette geben sollte, aber sie achten nicht darauf … ich vergesse nichts. Ich wollte es bloß nicht der Polizei erzählen.«
»Warum nicht?«
»Ich mag keine Polizisten«, erwiderte sie.
»Verstehe«, sagte ich und wartete.
»Vor langer Zeit hatte ich mal einige Probleme mit ihnen. Ich glaube, sie suchten bloß eine Ausrede, um mit mir zu sprechen. Ich bin nicht alt geboren, wissen Sie. Sie haben mich beschuldigt, eine Flasche Brandy gestohlen zu haben. Ich habe sie bloß in meine Handtasche gelegt, weil sie schwer war – und dann dort vergessen.«
»Margaret, ich bin mir sicher, Sie waren ein sehr hübsches Mädchen – das
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