Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
hinab.
»Entschuldige, Mildred, ich hab’s nicht bemerkt«, sagte sie.
Ich streckte die Hand aus, und Margo schaltete die Sprechanlage aus und reichte mir den Hörer.
»Sayler hier. Mit wem spreche ich?«
Es folgte keine Antwort außer schwerem Atmen. Klassisches anonymes schweres Atmen. Die Art, von der man immer liest, sich jedoch nicht richtig vorstellen kann, wie hässlich es klingt, bis man es tatsächlich hört.
»Was haben Sie gesagt?«, fragte ich. »Ich verstehe Sie nicht.«
Dann wurde aus dem schweren Atmen ein schweres Keuchen, schneller und immer schneller, bis ein Aufjaulen der Erleichterung folgte und die Verbindung abbrach.
»Wer war das?«, fragte Margo.
»Mein Büro.«
»Na ja, bitte geben Sie unsere Privatnummer nicht wieder heraus«, sagte Margo. »Billy wird echt stinkig.«
»Margo, tut mir leid«, sagte Hadley, die mir das Problem ersparte, nach ihr zu schauen, weil sie von selbst zurückgekehrt war. »Ich weiß, beste Freundinnen vertrauen einander – und du hättest mich nicht darum gebeten, wenn du nicht einen Grund dafür gehabt hättest.«
Margo sprang auf und nahm sie in die Arme.
»Tut mir auch leid«, sagte Margo. »Ich wollte dich nicht kränken – ich weiß nicht, warum ich es gesagt habe. Dazu bestand kein Grund.«
Margo sah mich über Hadleys Schulter hinweg an, und ihr Gesicht sandte die Botschaft aus, dass sie nach wie vor der Ansicht war, es gäbe einen Grund.
»Oh, hallo«, sagte Margo, ließ Hadley los und warf einen Blick auf ihre Uhr. »Sieh mal, wie spät es ist – die Nachrichten kommen. Billy und ich verpassen nie die Nachrichten.«
Ich kam langsam auf die Füße, weil mir kein legitimer Grund einfallen wollte, sie darum zu bitten, nicht den Fernseher einzuschalten.
Der Nachrichtensprecher verkündete eine Flutwarnung für die Küste Connecticuts. Dann folgte eine Story über jemanden, dervon der Fishers-Island-Fähre gefallen war, ein Bericht über einen Schusswechsel in Hartford, und nach einer Werbeunterbrechung für Bib Bob’s Autohandel konzentrierte sich alles auf New York City, wo der Bürgermeister eine Pressekonferenz vor dem Bellevue Hospital einberufen hatte.
Auf diese Weise würde Hadley die Sache mit Greenburg erfahren.
»Hadley«, sagte ich. »Ich möchte mit Ihnen reden.«
»Die Nachrichten sind in einer Minute vorbei«, sagte Margo.
»Da bin ich gewesen«, sagte Hadley. »Bellevue. Warum sind sie dort, was meinen Sie?«
»Es ist schlimm, Hadley«, sagte ich.
»Pscht!«, machte Margo, die halb einen im Kahn hatte. »Das finden wir schon raus.«
»Hadley«, sagte ich. »Ich möchte Ihnen etwas sagen.«
»Meine Güte«, sagte Margo. »Seien Sie doch bitte eine Sekunde still – Billy möchte vielleicht wissen, was passiert ist. Wir sehen uns immer die Nachrichten an.«
»Erzählen Sie’s mir hinterher«, flüsterte Hadley.
Ich weiß nicht mehr, wie häufig ich einen Bürgermeister gesehen habe – Koch, Dinkins, Giuliani, Bloomberg –, der vor einer Phalanx aus Reportern mit einem Polizeichef an seiner Seite stand. Am beeindruckendsten war Bill Bratton gewesen, dessen Stern den von Giuliani noch überstrahlte. Dann noch Bernie Kerik, in Ungnade gefallen und wegen Korruption und Schwindelei eingesperrt, und Ray Kelly, der sich zweimal der Herausforderung stellte und das scheinbar sein Leben lang tun wollte.
Der Bürgermeister, der unter einem Regenschirm stand, den ein Assistent hielt, trug einen dunklen Anzug mit einer amerikanischen Flagge auf dem Aufschlag, dazu ein weißes Hemd mit einer in gedämpftem Blau gestreiften Krawatte. Ich war froh, dass er anscheinend Respekt vor dem verstorbenen Justin Greenburg zeigte.
Rechts vom Bürgermeister stand der Polizeichef, der seinen eigenen Regenschirm hielt, ebenfalls in Anzug und Krawatte. Sein Kopf war völlig kahl, die Schultern zeigten gespannte Erwartung,und die Lippen waren so fest zusammengekniffen, dass sie fast verschwanden. Der Mann links vom Bürgermeister war einer der Verwaltungschefs der Klinik, an dem ich nach meinem Gespräch mit Mrs Newell, der kurzfristigen Zimmergenossin Hadleys, auf meinem Weg zum Aufzug vorbeigekommen war.
In dem dichten Gedränge hinter den Mikrofonen, halb verdeckt vom Klinikverwalter, erkannte ich Fallons vertraute lässige Haltung und das ungekämmte Haar. Linda Goode, gleich neben Fallon, hatte offenbar Lippenstift aufgelegt.
»Zuallererst möchte ich sagen, dass unser Mitgefühl und unsere Gebete der Familie und den Freunden
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