Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
stabilisieren und dann wieder in die Luft bringen, sonst hätte der Attentäter sein Ziel vielleicht doch noch erreicht. Doch unsere Königin blieb mitsamt ihrem Hofstaat und ihren eigenen Sicherheitsleuten unversehrt, während meine arme Sarah und einige andere Frauen und Männer getötet wurden.«
Black hielt inne und blickte hinaus in die von Gaslampen erhellte Nacht. Tränen glitzerten in seinem unbedeckten Auge.
»Was danach geschah, erlebte ich mit, als befände ich mich außerhalb meines Körpers. Während ich handelte, glaubte ich, mich von oben zu betrachten. Von jenen, die von der Bombe erwischt wurden, blieb kaum etwas übrig. Das Einzige, was ich fand, war ein Fetzen des Kleides, das Sarah getragen hatte. Ich war außer mir vor Schmerz und Zorn. Dass jemand die Königin angreifen wollte, war nichts Neues, und auch diesmal war sie dem Anschlag entkommen. Doch derjenige, der den Anschlag verübte, hat billigend in Kauf genommen, dass sie und die anderen Mädchen sterben! Am liebsten hätte ich den Verantwortlichen gleich zur Hölle geschickt. Doch wohin hätte ich mich wenden sollen?
Nur wenig später detonierte ein zweiter Sprengsatz. Diesmal traf es mich und meine Männer. Nicht so schlimm, wie das Empfangskomitee; wie später herausgefunden wurde, gab es bei dem zweiten Sprengsatz einen Defekt, der nicht die ganze Ladung in die Luft jagte, doch etliche von uns wurden verletzt. Mir bohrte sich ein Splitter ins Auge und zerstörte es vollständig. Ich verlor das Bewusstsein und erwachte erst Wochen später wieder. Als ich die Augen aufschlug – beide Augen wohlgemerkt, denn ich wusste zunächst nicht, dass ich ein künstliches Auge erhalten hatte, erfuhr ich, dass ich in Delhi war und dass Sarah tot war.«
Black schwieg nachdenklich, dann wandte er sich Violet zu. »Möchten Sie das Auge sehen?«
Violet nickte stumm. Wie furchtbar musste es sein, jemanden auf so grausame Weise zu verlieren, den man innig liebte! Da das Leben ihres Vaters ebenfalls am seidenen Faden gehangen hatte und sie mit den getöteten Artisten gute Freunde verloren hatte, konnte sie verstehen, was in Hieronymus die ganze Zeit über vor sich gegangen war.
Er löste nun das Band seiner Augenklappe, beließ die Hand aber auf dem Auge. »Es könnte ein wenig erschreckend auf Sie wirken.«
»Ich glaube kaum, dass mich etwas mehr erschrecken kann, als das, was ich soeben gesehen habe«, entgegnete Violet, bemüht, so unerschrocken wie möglich zu klingen. Wieder hatte sie im Ohr, was Blakley über das Auge gesagt hatte.
Black nahm die Hand herunter. Er hatte recht. Jemandem, der nur wenig über Körpermodifikationen wusste, würde dieses Auge einen gehörigen Schrecken einjagen. Dabei war es nicht so, dass es sonderlich groß und klobig war. Es hatte die Maße eines kleinen Monokels und war auch so in die leere Augenhöhle eingepasst worden. An der Stelle, wo sich das Lid befunden hatte, zog sich rosafarbenes Narbengewebe unter der Augenbraue entlang. Der Splitter musste tatsächlich das gesamte Auge samt dem Lid zerstört haben. Am faszinierendsten war allerdings das Innenleben des Glaskörpers. Zahlreiche Zahnräder unterschiedlicher Größe bewegten sich darin und justierten die Linse, auf der ein seltsamer purpurfarbener Glanz lag.
Violet bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
»Furchterregend, nicht wahr?« Black wollte das Auge schon wieder mit der Augenklappe bedecken, doch Violet legte ihm die Hand auf den Arm.
»Nein, lassen Sie es doch unbedeckt. Ich finde, es ist ein Meisterwerk der Technik. Und ich fürchte mich nicht, davor.«
Einen Moment lang sahen sie sich an, dann zog Violet verwirrt die Hand zurück.
»Eigentlich müsste ich es nicht verbergen, denn dieses Auge funktioniert genauso gut wie mein gesundes. Nein, es funktioniert sogar noch besser, kann ich doch damit auch weit entfernte Ziele sehen, wenn ich das gesunde Auge zukneife. Außerdem hat es eine Visiervorrichtung, die es mir ermöglicht, noch genauer zu schießen. Eben das, was ein guter Soldat braucht.«
Ein halb trauriges, halb spöttisches Lachen entrang sich seiner Kehle. »Als ich mich von meiner Verletzung erholt hatte, bat ich um meine Entlassung aus dem Dienst. Ich schob seelische Probleme vor, ausgelöst durch den Anschlag und den Tod meiner Verlobten. Auf eine richtige Entlassung wollte sich der Verteidigungsminister nicht einlassen. Aber er beurlaubte mich auf unbestimmte Zeit. Wenn ich mich stark genug fühle, soll ich wieder bei ihm
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