Bombay Smiles
hatte, etwas verwirrt war.
Vor ihm stehend äußerte ich meinen Entschluss mit folgenden Worten: »Es heißt Kartika Home. 40 Kinder leben dort. Allesamt sind sie unheimlich nett. Doch das Heim steht vor dem Aus. Ihm fehlen die finanziellen Mittel. In den letzten Tagen habe ich deshalb versucht, Geld von Hilfsorganisationen zu beschaffen. Leider vergeblich. Wahrscheinlich denkst du, dass ich verrückt geworden bin. Nein. Ich weiß ganz genau, was ich will. Ich werde mich selbst um das Waisenhaus kümmern.«
»Wo willst du denn das Geld hernehmen? Hast du eine Ahnung, was es kostet, so ein Waisenhaus zu unterhalten?«
»Ich muss erst mal alles verkaufen, was sich irgendwie zu Geld machen lässt.«
»Das reicht nicht, mein Junge.«
»Dann werde ich versuchen, jede Unterstützung zu bekommen, die ich kriegen kann. Für irgendwas müssen die ganzen Kontakte, die ich als Journalist geknüpft habe, ja gut sein. Und die wichtigen Leute, die ich noch nicht kenne, werde ich eben kennenlernen. Ich gründe eine Organisation. Das Geld, das dort einfließt, kommt ausschließlich dem Waisenhaus zugute.«
»Weißt du eigentlich, was für einen Aufwand das bedeutet? Wo willst du denn die Zeit dafür hernehmen?«
»Ich habe noch gar nicht alles erzählt.«
»Was noch?«
»Es ist, wie du sagst, ein großer Aufwand. Deshalb höre ich auf zu arbeiten. Ich gebe meine beiden Jobs auf. Was ich gespart habe, reicht für ein paar Monate. Falls es dir nichts ausmacht, würde ich gerne wieder zu dir und Großmutter ziehen. Ich kann mir ab jetzt keine eigene Wohnung mehr leisten.«
»Du kannst jederzeit wieder herziehen. Hier ist dein Zuhause, das weißt du. Ich möchte aber, dass du alles genau durchdenkst. Ich an deiner Stelle würde die Finger von der Geschichte lassen. Doch ganz egal, wie deine Entscheidung ausfällt, ich werde sie respektieren. Doch überleg dir alles gut, Jaume.«
Er verhielt sich genau, wie ich gehofft hatte: Er fragte, ob ich mir meiner Sache sicher sei; forderte
mich auf, ein-, zweimal oder so oft wie eben nötig darüber nachzudenken, und versicherte mir dann, dass er für mich da war, und zwar ganz gleich, wie ich mich entscheiden sollte.
Nahezu immer, wenn ich vor einer Entscheidung stehe, frage ich mich, was wohl mein Vater tun würde. Und wenn sein wahrscheinlicher Entschluss stark von dem abweicht, was ich selbst tun möchte, überlege ich es mir besonders lange und gründlich.
Mein Vater findet immer den goldenen Mittelweg, mithilfe von Zurückhaltung und Vorsicht. Er ist mir ein unersetzliches Vorbild auf der Reise durchs Leben. Ich kann mich immer auf ihn verlassen. Seine klugen Ratschläge und seine endlose Geduld verleihen mir große Gelassenheit.
Doch auch meine Mutter war mir ein Vorbild. In ihrem Beruf als Lehrerin setzte sie all ihre Kraft für die Ausbildung ihrer Schüler ein. Als Mutter hat sie mir all ihre Liebe geschenkt. Reine, bedingungslose Liebe.
Niemals zwangen mir meine Eltern etwas durch Strafen auf, sondern ließen mich meine Erfahrungen selbst machen und daraus meine Schlüsse ziehen. So fand ich meinen Weg durchs Leben. Um die Bedeutung der Liebe, des gegenseitigen Respekts, einer wie auch immer gearteten Zuneigung oder von Aufrichtigkeit und Moral zu begreifen, brauchte ich nur aufzunehmen, was bei uns zu Hause gelebt wurde.
Kindern ein gutes Vorbild sein, ist die beste Art der Erziehung, davon bin ich fest überzeugt. An jenem Tag unseres Gesprächs wurde mir endgültig klar, dass mein Vater das ist, wofür vermutlich viele Kinder ihre Väter halten: der beste Vater der Welt.
Ich erzählte ihm von meiner Absicht, nach Bombay zu ziehen, da ich nur dort wirklich helfen konnte. In den ersten Monaten musste ich vor Ort sein, um mein Projekt voranzubringen und dafür zu sorgen, dass es für die Kinder den größtmöglichen Nutzen brachte. Ich deutete aber an, dass ich sofort zurückkommen würde, falls mein Vater oder meine Großmutter krank werden sollten. Es wäre nicht stimmig, im großen Maßstab nach den Regeln der Liebe zu handeln und dabei die Menschen, die einem nahe sind, zu vernachlässigen.
Für den folgenden Tag hatte ich mich zum Mittagessen mit Sonia und Miguel Angelo verabredet. Sonia war eine ehemalige Arbeitskollegin, wir hatten uns angefreundet. Miguel Angelo, ihr Lebensgefährte, war inzwischen auch mein Freund geworden und wir trafen uns häufig zu dritt. Meistens verabredeten wir uns am Mittwoch beziehungsweise Donnerstag und suchten uns - was uns
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