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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Sanllorente
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die Ausarbeitung eines Projektplans; wieder
andere wünschten mir Glück und sagten einfach ab.
    Dermaßen simpel, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es anscheinend nicht. Die Kinder brauchten Hilfe, doch so schnell konnte ich keine Hilfe organisieren. Ich hatte zwar damit gerechnet, dass es nicht leicht werden würde, dennoch kränkten mich die ersten Absagen.
    Je mehr Tage vergingen, desto dramatischer wurde die Lage für das Waisenhaus und seine Bewohner. Wir konnten nicht länger warten. Es ging um Leben und Tod.
    Es gibt Orte, die unsere Seele berühren und für immer mit ihr verschmelzen. Auch wenn man nur ein einziges Mal dort war, zeugen diese Orte von Ereignissen, die unser Leben einschneidend geprägt haben, von transzendentalen Entscheidungen, von Augenblicken, die sich für immer tief in unsere Erinnerung eingraben. Jeder Mensch kennt solche Seelenorte und trägt ihr Abbild in sich.
    Als mir klar wurde, dass es kaum Chancen gab, jemanden zu finden, der sich um das Waisenhaus kümmern würde, suchte ich meine Seelenorte in Barcelona auf. Orte, die stets große Emotionen in mir auslösten; jene Orte, die die Tränen einiger meiner bitteren Momente und den Blumenduft der hellen Stunden aufbewahrten. Vielleicht konnten mir diese Orte bei der Entscheidung helfen. Vielleicht konnten sie mir den rechten Weg weisen.

    Nachdem ich lange herumgelaufen war, meditiert und darüber nachgedacht hatte, wie ich jene Kinder vor einer finsteren Zukunft bewahren konnte, wurde mir allmählich klar, dass es gar nicht so schwierig war.
    Wenn du an einem brennenden Haus vorbeiläufst und drinnen schreit jemand um Hilfe, was tust du dann? Suchst du nach einer Telefonzelle, um die Feuerwehr anzurufen und verlierst dabei kostbare Zeit? Oder gehst du in das Haus hinein und versuchst, dem schreienden Menschen zu helfen?
    Ich musste in dieses Haus hineingehen und alle, die drin waren, vor den Flammen der Armut und Grausamkeit retten. Wenn mir niemand dabei helfen konnte, war klar, was zu tun war: Dann musste ich die Kinder eben alleine retten. Ich hatte dem Waisenhaus zu helfen, Gelder zu beschaffen, Mitarbeiter und Verwaltung zu organisieren, damit die Kinder nicht wieder in den Bahnhöfen und Bordellen Bombays strandeten. Ja, ich wollte mich für den Rest meines Lebens dazu verpflichten - und zwar ohne eine Möglichkeit zur Umkehr.
    Doch sogleich befielen mich Zweifel. Ich fragte mich, wieso wollte ich ausgerechnet diesen Kindern helfen? Warum jetzt, wo es doch schon immer Arme und Bedürftige gegeben hatte? Sogar in meiner eigenen Stadt. Weshalb verfügte ich nicht bereits
früher über dieses unbändige Verlangen, unbedingt Menschen in Not zu helfen?
    Da spielt wohl, dachte ich, das Schicksal eine Rolle.
    Warum denn fanden oft Menschen zueinander, die aus entgegengesetzten Enden der Welt stammten? Was bewegte zum Beispiel einen jungen Mann aus Madrid, alles aufzugeben, um an der Seite seiner Liebsten in fernen Ländern wie Australien oder Kanada zu leben? Wieso ausgerechnet diese Kanadierin, wo es doch in seiner eigenen Stadt jede Menge Mädchen gab, mit denen er genauso gut leben konnte?
    Es muss dabei eine Macht im Spiel sein, die manche Gott, andere wiederum Schicksal und wieder andere Zufall nannten - und die wir niemals verstehen werden, da können wir uns anstrengen wie wir wollen.
    Zuallererst musste ich rechnen. Ich brauchte Geld, musste mich von allem trennen, was ich besaß, um die Kosten des Waisenhauses decken zu können. Ich rief Atul an und erkundigte mich nach der Höhe der Schulden. Dann rechnete ich aus, wie viel ich verdiente, und das war - wie sollte es für einen jungen Journalisten auch anders sein - nicht besonders viel. Trotzdem war dieses Geld für das Waisenhaus ein kleines Vermögen.
    Der Erste, der von meiner Entscheidung erfahren sollte, war mein Vater - meine Mutter war seit acht
Jahren tot. Marta, meine Großmutter mütterlicherseits, hatte immer bei uns gewohnt, auch nach dem Tod meiner Mutter. Wir waren eine ungewöhnliche Familie: Mein Vater, meine Großmutter und ich lebten sehr harmonisch zusammen, verstanden uns sehr gut.
    Mein Vater, zurückhaltend, klug und geduldig, empfiehlt immer erst bis zehn zu zählen, bevor man eine wichtige Entscheidung trifft. Ich wusste, dass er meinen Indienplan nicht unbedingt toll finden würde, doch gegen meine Entscheidung protestieren würde er sicher nicht. Er würde wohl annehmen, dass ich durch einen emotionalen Schock, den meine Indienreise verursacht

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