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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Sanllorente
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Während der »Redaktionsbesprechung« nämlich wurden die Kinder langsam warm miteinander, verloren ihre Scheu und offenbarten schnell ihre spezifischen Begabungen.
    In dieser Woche ging ich einmal direkt nach dem Unterricht nach Hause (ich wohnte immer noch bei einem der Lehrer), weil ich in Ruhe Hindi lernen wollte. Als ich die Zimmertür öffnete, erwartete mich eine sehr schöne Überraschung. Auf dem Bett lag, drapiert wie in einer Auslage, der bordeauxrote Punjabi Kurta und der beige Schal - und daneben eine Nachricht:
    Vielen Dank für alles, was du für uns tust.
Die Lehrer und Angestellten von Kartika Home.
    Offenbar hatten alle Lehrer - sicher unter großen Entbehrungen - einen Teil ihres Gehalts beiseitegelegt. Und das nur, um mir diesen wunderschönen Anzug zu kaufen. Überflüssig zu sagen, wie sehr mich diese Geste berührte. Die Dankbarkeit, die von ihr ausging, schien grenzenlos. Wie viele Lektionen der Großzügigkeit erteilten mir die Menschen hier - und wie reich wurde ich von Gott belohnt …

12
    Lehrjahre

    Du bist das Produkt deiner Umgebung. Deshalb
kannst du nicht erkennen, was außerhalb deiner
Gewohnheiten und den gesellschaftlichen
Konventionen derer liegt, die dich geprägt
haben. Willst du mehr erkennen als das, befreie
dich zuerst von der gewohnten Sicht der Dinge.
    SWAMI PRAJNANPAD

    Die Tage vergingen zwischen Fröhlichkeit und Enttäuschung, großen Hoffnungen und roten Zahlen. Die Widersprüche, die für dieses Land so charakteristisch sind, verfolgten mich ständig. An einem Tag lief alles wie am Schnürchen, am nächsten Tag gab es nur Hindernisse und Fallstricke.
    Es gelang mir, ein Häuschen in der Siedlung zu mieten. Es war alles andere als ideal, auch weil es viele Ratten dort gab, doch meine Matratze und ein Arbeitstisch passten hinein und das war mehr als genug. Ich hatte sogar eine echte Toilette anstatt der sonst üblichen Latrinen, das allein war schon ein Luxus.

    Nicht alle Nachbarn sahen es gern, dass jetzt ein Weißer in der Siedlung lebte, und noch viel weniger schätzten sie es, dass er massenweise unberührbare Kinder herholte. Die offene Ablehnung irritierte mich. Doch dann erinnerte ich mich, wie die Einwanderer in vielen Teilen Europas behandelt wurden und schwieg lieber.
    Wir sollten öfter über unsere Logik nachdenken. Einerseits möchten wir den Entwicklungsländern helfen, bemühen uns mitunter aufrichtig, strafen aber andererseits den Senegalesen, der vor unserer Haustür auf der Straße schläft, mit Verachtung.
    Im Juni begannen die ersten Monsunregenfälle. Die ganze Siedlung stand unter Wasser und die Kinder schafften es nicht einmal zum Unterricht in die Garagen. Der sintflutartige Regen prasselte in Sturzbächen auf uns nieder. Ich rannte dennoch aus dem Büro, weil ich die Kinder täglich sehen wollte. Nie mehr mochte ich meine Energien einzig aus dem Fotoalbum schöpfen. Alleine durch ihr Lächeln ging mitten im Monsun die Sonne auf, die mir Wärme und Zuneigung spendete.
    Jeden Tag liebte ich sie mehr, die kleinen Helden, die es geschafft hatten, ihre eigenen Tragödien zu meistern, und die ihre Arme für uns öffneten, unsere Hilfe annahmen. Durch sie lernte ich, großzügiger zu sein, grenzenlos zu lieben, zu geben, ohne eine Gegenleistung dafür zu erwarten, immer das
Wort zu halten, die kleinen Dinge des Lebens zu achten, zuzuhören, zu beobachten, zu sehen …
    Nicht immer gab es Strom, und manchmal stahlen die Nachbarn das Wasser aus den Tanks, die es auf dem Dach jedes Häuschens gab. Ganze Tage verbrachten wir so, ohne Licht und Wasser.
    Ich lernte die Bequemlichkeiten der westlichen Welt zu schätzen, die aber im Westen als Selbstverständlichkeiten hingenommen werden. Ein Computer oder ein Gerät, das mit seinem Geräusch Stechmücken abwehrte, waren in unserer indischen Siedlung Utopien.
    Es kam vor, dass sich jemand beklagte, weil ich erst nach drei Tagen auf eine E-Mail antworten konnte. Dabei musste ich, um diese Nachricht zu versenden, erst ins nächste Internet-Café eilen, wofür ich eine Stunde brauchte - vorausgesetzt, dass es keine Überschwemmungen gab! Aber wer schon sollte und wollte das außerhalb dieses Landes wissen?
    Es wurde früh dunkel in der einsamen Siedlung, die zwei Stunden von der Stadt entfernt lag. Meistens ging ich um acht Uhr ins Bett und las bei Kerzenschein. Die Moskitos fraßen mich beinahe auf, und das Scharren der Ratten war bald ein gewohntes Geräusch. Gelegentlich schlängelte sich nachts eine

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