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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Sanllorente
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gar nicht mehr auf.
    Bevor wir ihn ins Krankenhaus brachten, drehte ich mich zu den Jungen um, die weiter kifften und schnüffelten, als seien wir gar nicht da gewesen. Großes Mitleid überkam mich. Santosh hatte mehr Glück als seine Kumpane. Sie mussten in der Halle bleiben. Und niemand konnte genau sagen, wie lange sie noch zu leben hatten.
    So war es mir auch bei den vier Geschwistern Babita, Ankita, Neeta und Jitendra gegangen. Wie viele andere Kinder hatten nicht ihr Glück, wie viele wurden verkauft, ohne dass ein aufdringlicher Weißer es verhindert hätte? Und auch bei Rati, Vinayak, Rameeta und etlichen Kindern mehr, die wir fleißig aufnahmen, kamen mir diese Gedanken.
    Nach jenen Erlebnissen fügte ich der »Recyclingfirma« in meinem Inneren einen weiteren Vorsatz hinzu: Ich musste verhindern, durch Erfolgserlebnisse selbstgefällig zu werden, mich immer auf das konzentrieren, was noch zu tun blieb.
    Ich lebte erst wenige Monate in Indien und hatte schon so viel erlebt, dass mir Monate wie Jahre vorkamen. Ich hatte meine Erfahrungen gemacht. Die
Händler in den kleinen Läden zum Beispiel konnten mich nicht mehr so leicht übers Ohr hauen - beim Feilschen brachte ich es sogar zu wahren Kunststücken. Ich kannte auch die Namen aller Viertel, fand sie recht schnell wieder, als hätte ich eine Stadtkarte dieses Labyrinths, das sich Bombay nannte, in meinem Kopf ausgefaltet.
    »Du solltest weniger arbeiten. Genieß doch deine Freizeit mal«, sagten mir manche der Lehrer. Inzwischen hatten wir einige zusätzliche Garagenhäuschen in der Nachbarschaft angemietet und beschäftigten mehr Personal.
    Schlussendlich, als die Lehrer immer hartnäckiger wurden, nahm ich eine ihrer Einladungen zum Bummeln an. Eines Abends suchten wir also die Linking Road auf, eine Einkaufsstraße. Einkaufen war noch nie eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Ich war nicht wirklich begeistert von der Vorstellung, dass ich soviel Arbeitszeit vergeuden sollte, lediglich um hier oder da etwas zu besorgen.
    Wir betraten aber einen Laden für Herrenbekleidung, in dem die Regale bis unter die Decke mit Hochzeitsanzügen und Turbanen, geschmückt mit Kunstperlen und goldgefassten Plastikedelsteinen, vollgestopft waren. Auf einer Seite stapelten sich Punjabi Kurtas und Punjabi Pyjamas, die typischen indischen Männerkleider. Die meisten wirkten zu protzig, aber es waren auch sehr schöne aus Rohseide und damastähnlichen Stoffen darunter.

    »Gefallen sie dir? Sie sind hübsch, oder?«, fragte Atul. Ich aber las stirnrunzelnd die Preisetiketten.
    »Ja, schön sind sie. Aber sieh dir mal die Preise an. Schau mal, dieses Stück hier kostet 3 000 Rupien, das sind … 60 Euro! Das ist viel zu teuer!« Ich war entsetzt, denn 3 000 Rupien, das war die Miete für einen Schulraum. Ich kannte sowohl mein Gehalt als auch die Gehälter der Lehrer. Und ich wusste, dass sich keiner von uns diese Kleidung leisten konnte.
    »Such dir ein Stück aus, wir wollen dich damit fotografieren. Zieh das Ding einfach über deine Sachen, und wir machen ein Bild.«
    Die Lehrer waren begeistert von der Idee und steckten mich mit ihrem Enthusiasmus an. Ich suchte einen Punjabi Kurta aus, den ich am schlichtesten und deshalb am schönsten fand, ein bordeauxrotes. Die Edelsteinbordüre am Hals war dezent und gab dem Kleidungsstück eine festliche Note.
    »Ganz wie ein Maharadscha!«, riefen sie und klatschten, als sie mich darin sahen.
    Sie waren ganz aufgeregt und baten mich, ich solle auch noch einen beigen Schal anprobieren, der farblich zum Punjabi passte. Der Verkäufer wies uns darauf hin, dass der Schal nicht einzeln erhältlich sei, weil er zu einer anderen Kombination gehöre. Aber die Lehrer bestanden auf dem breiten Schal.

    Immer mehr Leute blieben stehen und sahen uns zu. Wir mussten alle lachen. Als wir uns beruhigten, wurde das Foto gemacht.
    Ausgelassen verließen wir die Einkaufsmeile schließlich, obwohl selbst die billigsten Waren in den Geschäften für uns unerschwinglich waren.
    In der folgenden Woche hatten wir viel Spaß. Wir organisierten Carom-Wettbewerbe für die Kinder, bei denen es sogar Pokale zu gewinnen gab. Außerdem unterrichtete ich die Kinder ein paar Stunden lang in Journalismus. Ich wollte mit den Ältesten von ihnen eine Zeitung gestalten, die Kartika Home Times , für die sie Artikel schreiben und Interviews mit den Lehrern führen sollten. So konnten die Kinder ihre Vorstellungskraft schulen und die Gruppe wuchs dabei gut zusammen.

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