Bombay Smiles
Anakonda durch die Straßen. Einmal entdeckten wir eine unter einem Sessel, wo sie die Nacht neben ein paar unserer Mädchen verbracht hatte, die aber friedlich schliefen.
Trotz dieser Unannehmlichkeiten machte es mir wenig Mühe, mich an die Abgeschiedenheit des Waisenhauses sowie an die ländliche Gegend überhaupt zu gewöhnen. Ich lernte, mit der Natur in Einklang zu leben, sie zu beobachten, dem Rauschen der Büsche im Wind und dem Konzert der Grillen beim Einschlafen zuzuhören, meine Augen beim Anblick des Sonnuntergangs zu entspannen und meine Hände am Morgentau zu erfrischen. All das zu entdecken, mich als ein Teil der Natur zu begreifen, war unbeschreiblich schön. Wir leben umgeben von Wundern, doch sind wir zu blind, um sie wahrzunehmen.
Die Bürokratie aber war ein Alptraum. Monatlich musste ich stundenlang anstehen, damit ich die Rechnungen für Strom, Wasser, die Miete für die Häuschen und vieles mehr begleichen konnte - natürlich immer in bar, denn die Post brauchte ewig. Ich lernte, mich in Geduld zu üben, lernte humorvoll zu sein. Nur so, kaum anders, war ein Überleben hier möglich.
Einmal rief der Zoll an. Man hatte uns riesige Kisten mit Kinderbüchern geschickt. Als ich sie abholen wollte, verlangten die Beamten Geld von mir. Ich war nicht bereit zu zahlen, da ich wusste, das Geld würde in den Taschen der Zöllner verschwinden.
Die Zöllner behandelten mich, als wäre ich Luft für sie. Jedes Mal, wenn ich sie ansprach, verspotteten
sie mich und fragten einander, ob einer wohl dieses merkwürdige Nebengeräusch gehört hätte und was das wohl sein könne. Ich habe neun Stunden auf dem Fußboden ihres Büros verbracht und wie ein Idiot Lieder gesungen und Gedichte aufgesagt. Weil sie meinen Singsang nicht länger hören wollten, das vermute ich jedenfalls, händigten sie mir schließlich die Bücherkisten aus. Ich lernte, jede einzelne solcher Situationen mit so viel Optimismus wie nur möglich zu nehmen.
Ich lernte ebenfalls, mit den Seltsamkeiten dieses Landes umzugehen. Wusste etwa inzwischen, dass nicht alle Polizisten in Indien bestechlich sind. Ja, glücklicherweise gibt es immer mehr Personen mit einem gesunden Rechtsempfinden, die ein wirklich beispielhaftes Pflichtbewusstsein ihren Mitmenschen gegenüber entwickelt haben.
Ich bin an sich der Ansicht, die nicht staatlichen Organisationen sollten aufhören, die Regierungen sowie staatliche Institutionen permanent zu kritisieren. Oft ist Kritik gerechtfertigt oder gar unbedingt notwendig, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen, eine Einschränkung der Bürgerrechte zum Beispiel. Man sollte Kritik allerdings nur dann äußern, wenn es echte Alternativen gibt, tatsächliche Lösungen für tatsächliche Probleme.
Es gab Zeiten, in denen viele gemeinnützige Organisationen entstanden, weil die Regierungen leider ihren Pflichten gegenüber der Bevölkerung nicht
nachkamen. Es stimmt sicher, dass - in politischen Kreisen - das fehlende Bewusstsein, sich als Diener der Staatsbürger zu begreifen, oder aber nur der fehlende gesunde Menschenverstand die Gründung gemeinnütziger Organisationen notwendig machten. Ich glaube jedoch auch, dass es langsam Zeit wird, die Zeichen des Wandels zu erkennen. Zumindest in dem Erdteil, den ich kenne, versuchen viele Politiker anders zu handeln. Leider stoßen sie in der Politik allzu oft auf Funktionäre, die bereits seit Jahrzehnten aktiv sind, es sich auf ihren Posten bequem gemacht haben und dazu noch wenig von Transparenz halten.
Es ist nicht immer angemessen - manchmal allerdings absolut notwendig -, die Kräfte darauf zu verschwenden, diese Regierungen zu kritisieren. Man sollte lieber, sofern es geht, alle Kraft darauf verwenden, sich an ihre Seite zu stellen, Energien zu bündeln, um gemeinsam die Bedürfnisse desjenigen zu befriedigen, um den es in erster Linie ja geht - des Bürgers nämlich.
An dieser Stelle kommt erneut die weiße Wand ins Spiel: Wir sollten nicht so viel Zeit auf Diskussionen verschwenden, in welcher Farbe die Wand gestrichen werden soll - wir sollten sie streichen!
Es gab Strom, und ich nutzte die Gunst der Stunde, um Zahlen in den Computer zu tippen. Bald könnten wir noch mehr Kinder aufnehmen, ihnen wahrscheinlich sogar eine gute Ausbildung ermöglichen.
Plötzlich fing es an, ununterbrochen zu klingeln. Ich rannte so schnell ich konnte die Treppe hinunter und dachte, es gäbe einen Notfall in den Slums. Als ich die Tür öffnete, stand ein hochgewachsener, etwa
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