Bombenbrut
seinem Handy greifen. Nur zweimal ertönt das Freizeichen: »Reden Sie, was gibt’s Neues?«, will der Kommissar sofort wissen.
»Kennen Sie einen Joseph Brodsky oder so ähnlich?
»Nein, wieso?«
»Können Sie herausfinden, ob Ihre Kollegen vom BKA wissen, ob der Mann ein israelischer Agent ist?«
»Warum?«
»Er ist der Freund der Witwe Verena Kluge und er ist ganz plötzlich in Ho-Chi-Minh-Stadt aufgetaucht. Ich habe keine Ahnung, was er hier will. Deshalb war ich in seinem Zimmer. Ich bin sicher, dass er Jude ist, ich denke, ich habe so etwas wie einen Gebetsriemen bei ihm gefunden.«
»Gott verdurri«, stöhnt der Kommissar im fernen Singen, »ich warne Sie, Herr Dold! Halten Sie sich endgültig zurück. Kapieren Sie denn nicht, was da gespielt wird? Ein toter, neugieriger Journalist fällt da nicht mehr ins Gewicht, der zählt nicht. Passen Sie auf sich auf, ich habe das Gefühl, den letzten Toten hat es in diesem Drama noch nicht gegeben.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie werden von mir hören, ich gebe den Namen sofort weiter. Bitte, verhalten Sie sich ganz ruhig, am liebsten wäre es mir, Sie würden sich in Ihrem Zimmer verbarrikadieren und abwarten, bis ich Sie wieder anrufe.«
»Ja, ganz bestimmt!«, lacht Leon, durch den telefonischen Kontakt zu dem Kommissar wieder mutiger geworden, »deshalb bin ich ja hier.« Dann überlegt er kurz und schiebt neugierig nach: »Was haben Sie über diesen Otto herausbekommen? Und DigDat?«
»Okay«, stöhnt der Kommissar, »Ines Köppke kennt niemand, vermutlich eine Legende, man müsste ihr Bild haben. Das BKA geht davon aus, dass sie früher mit Otto beim Staatssicherheitsdienst der DDR zusammengearbeitet hat. Denn dieser Otto ist den Herren bekannt. Otto jedenfalls war Offizier der Stasi, hat nach dem Fall der Mauer im Westen ein bisschen mit seinem Wissen geprahlt, soll sich jedoch längst aus dem Geschäft zurückgezogen haben.«
»Ja, wenn dies Ihre Herren meinen«, antwortet Leon zynisch und legt auf.
Ein wenig von seiner Angst befreit, streift er um die Häuser und Straßenschluchten rund um das ›Rex-Hotel‹. Er ist gefesselt von der Exotik dieser bunten Welt. Es ist kurz nach Mitternacht, aber in vielen Geschäften geht es noch munter zu. An jeder Ecke gibt es Suppen und Tee. Garküchen brutzeln um die Wette. Die Vietnamesen stehen in Grüppchen beisammen oder sitzen auf niedrigen Plastikstühlen mitten auf dem Gehsteig. Sie essen, trinken und lachen. Manche winken ihm freundlich zu, andere bieten ihm billige Uhren oder andere nachgeahmte Markenartikel an.
Er kauft eine Damen-Rolex für 15 Dollar. Er wird sie Lena mitbringen. Verdammt, Lena! Jetzt hat er Zeit, schnell wählt er ihre Nummer. Soll sie doch ihre Gardinenpredigt vom Stapel lassen.
Das Freizeichen ertönt nur einmal, schon nimmt Lena ab: »Wie geht es dir? Was machst du? Alles okay?«
»Ja«, antwortet Leon irritiert, »was ist denn los, warum plötzlich so nachsichtig? Ich habe dich schwer versetzt, ich denke, du bist stinksauer?«
»Gerade waren zwei Männer von der Polizei hier, die haben mir richtig Angst gemacht. Ich musste ihnen alle deine Handynummern, E-Mail-Adressen und selbst ein Bild von dir aushändigen. Sie würden dich suchen, behaupteten sie.«
»Warum? Ich habe nichts ausgefressen.«
»Du wärst in Lebensgefahr, sie wollen dich beschützen.«
»Ich habe dir gesagt, ich bin in Ho-Chi-Minh-Stadt.«
»Ja, trotzdem«, hört er Lena liebevoll flüstern, »komm zurück, ich brauche dich hier bei mir.«
»Zum Rasenmähen«, lacht Leon spöttisch, doch in Wahrheit rührt ihn Lenas Sorge. Er weiß um die Gefahr, kann aber längst nicht mehr zurück. »Ich bin bald zu Hause, mach dir bloß keine Gedanken. Von mir will keiner was. Ich bin weder Täter noch Opfer, ich bin nur der Pressefuzzi.«
Langsam schlendert er zu seinem Hotel zurück, schildert nebenbei Lena, wie exotisch die Welt um ihn herum aussieht, und verspricht mit tausend Liebesschwüren, dass er nächste Woche rund um ihren Bauernhof in Taisersdorf für Ordnung sorgen werde.
Danach geht er in sein Hotelzimmer, schließt seine Tür dreimal ab, legt die Kette davor und verriegelt zusätzlich die Balkontür.
25
Am nächsten Morgen erwacht Leon aus einem tiefen traumlosen Schlaf. In Vietnam ist es kurz vor 9 Uhr, in Deutschland 3 Uhr in der Nacht. Vor zwei Wochen erst hat er diesen Matthias Kluge tot aufgefunden, danach ist alles sehr schnell drunter und drüber gegangen und gestern hat er eher
Weitere Kostenlose Bücher