Bombenbrut
gleiten lässt und die beiden das Hotel verlassen.
Spontan eilt Leon an die Rezeption, lächelt die Damen dahinter breit an und entschuldigt sich höflich: »I’ve forgotten something in my room.«
Wie selbstverständlich schnappt er sich den Schlüssel, den der Cowboyhut gerade in die offene Box geworfen hat, und geht lässig zum Aufzug.
Im Flur 8 eilt Leon schnurstraks zu der Zimmertür, aus der das Pärchen gerade gekommen war, schaut sich nur kurz in deren Raum um, öffnet die Balkontür und geht hinaus.
Vorsichtig lugt er um die Ecke. Die Balkone der Hotelzimmer reihen sich aneinander. Rechts von ihm muss das Zimmer von Joseph sein. Nur ein Schritt entfernt ist sein Balkon.
Von unten dröhnt der Großstadtverkehr herauf, Leuchtreklamen blinken. Das achte Stockwerk, in dem Leon auf dem Balkon steht, liegt über dem Schein der Straßenlaternen im Dunkeln.
Er schielt nochmals vorsichtig nach allen Seiten, dann lehnt er sich weit über die Balustrade und versucht, in den Raum von Joseph zu blicken, aber in dem Zimmer ist es finster.
Leon tritt zurück in das Zimmer des Liebespärchens, schaut sich um, schnappt sich einen Flakon von einem Nachttischchen, geht damit auf den Balkon zurück und wirft es auf den Vorsprung, direkt vor die Balkontür von Joseph.
Es scheppert laut, doch im Zimmer nebenan rührt sich nichts. Leon schaut sich um, fasst sich ein Herz und steigt über das Geländer. Er macht einen kleinen Satz und krallt sich an der Brüstung des Nachbarbalkons fest. Als er genügend Halt hat, steigt er schnell über die Balustrade und redet sich dabei Mut zu: Was soll mir denn dieser Joseph schon antun? Vorsichtig drückt er seinen Körper gegen die Balkontür des fremden Zimmers.
Doch sie ist verschlossen. Sein Herz rast. Ihm ist klar, Joseph hat ein Geheimnis. Er muss es herausfinden.
Jetzt!
Die Scheibe klirrt, aber der Straßenlärm ist lauter. Leon hat ein kleines Seitenfenster der Balkontür mit seinem Ellenbogen eingeschlagen. Er greift mit der Hand durch den Bruch und öffnet die Tür von innen.
Schnell huscht er in den Raum. Es ist dunkel, er tastet sich zu einem Lichtschalter vor, legt ihn um und sieht das Hotelzimmer nun hell erleuchtet vor sich.
Das Bett unberührt, in der Ecke steht nur ein kleiner Koffer, selbst im Bad liegen keine Utensilien.
Leon schnappt sich schnell den Koffer, legt ihn auf den Boden, kniet davor und öffnet ihn. Er sieht zwei fein gebügelte Hemden und zwei Hosen sowie einen Kulturbeutel. Sonst nichts, mit Ausnahme eines unscheinbaren Lederriemens. Verwundert zieht er daran. Eine Lederkapsel, ein zweites Band und eine weitere Kapsel kommen zum Vorschein.
Während er den Riemen in der Hand hält, fröstelt es ihn. Er erinnert sich an die jüdische Tradition des Gebetsriemens und der Thora. Verdammt, ihm wird heiß.
Nichts wie weg.
Eine jähe Angst überfällt ihn. Schnell verstaut er den Gebetsriemen wieder im Koffer, stellt diesen an seinen Platz zurück und nimmt den nächstbesten Weg aus dem Raum. Er rennt zur Zimmertür, sie lässt sich von innen öffnen, schnell tritt er auf den Flur und eilt durch das Treppenhaus hinunter ins Foyer.
Unter Menschen atmet er durch. Hier versucht er, unauffällig zu wirken, schlendert langsam an die Rezeption, lächelt den Damen erneut freundlich zu und wirft den Schlüssel des Cowboyhutträgers zurück in die Schlüsselbox.
Mit Herzklopfen tritt er hinaus auf die noch immer belebte Straße. Touristen bummeln am Hotel vorbei. Straßenhändler bieten Erfrischungsgetränke an. Leon schaut sich erneut unsicher um und stürmt ohne Ziel und mit schnellen Schritten los, immer geradeaus, in die Gassen des Millionen-Molochs.
Nur langsam beruhigt er sich. Verdammt, er hat das Geheimnis von Joseph Brodsky gelüftet. Der Gigolo ist Jude. Leon ist klar, wenn Kommissar Sibold mit seiner Vermutung recht hat, dass der israelische Geheimdienst hinter dem Mord an Kluge und der Bootsexplosion steckt, dann ist mit Joseph nicht zu spaßen, dann ist Joseph ein Agent des gefürchteten Mossad.
Leon bekommt im Nachhinein noch weiche Knie. Sein Herz beginnt bei all seinen Gedanken erneut zu rasen. Er schaut sich um, ob ihm jemand folgt. Stellt sich in einen dunklen Eingang und atmet tief durch.
Er ruft sich die Gesichter der Gesprächspartner von Joseph in Erinnerung, auf die er allerdings kaum geachtet hat. Es waren keine Asiaten, die beiden Männer sahen aus wie Hinz und Kunz auf der Stuttgarter Königsstraße.
Seine Angst lässt ihn zu
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