Bombenbrut
ist für ihn heute ein Kinderspiel.
Björn Otto tippt den Namen ›Herbert Stengele‹ ein, drückt auf ›search‹ und geht den Flur entlang in den Aufenthaltsraum. Die Großraumbüros sind leer, Ottos vietnamesische Angestellte arbeiten in zwei Schichten, von 4 bis 13 Uhr und von 13 bis 22 Uhr. Länger können sich auch die fleißigsten Asiaten nicht vor den flimmernden Bildschirmen konzentrieren.
Otto nimmt aus dem Kühlschrank eine eiskalte Coca-Cola. Er setzt die Dose an und stürzt den Inhalt in einem Zug hinunter. Achtlos wirft er das leere Blech in einen Papierkorb und schlurft in seinem grauen Anzug in sein Büro zurück.
Björn Otto ist im Tal der Ahnungslosen, bei Zittau, aufgewachsen. Seine Eltern hat er nie kennengelernt, seine Pflegemutter war Telefonistin und eifrige Informantin der Stasi, der Stiefvater hatte sie schon bald verlassen. Seine Mutter hatte immer wieder andere Männer mit nach Hause gebracht. Er fühlte sich meist allein, hatte wenig Freunde und galt als schwieriger Außenseiter.
Er wollte weg aus dem letzten Winkel der DDR und bewarb sich beim Ministerium für Staatssicherheit. James Bond, dachte er damals, nicht schlecht, und: Offizier des MfS, ein ehrenwerter Beruf.
Allerdings blieb er auch in der Kaserne der Staatssicherheit ein Einzelgänger, aber er hatte Förderer, seine mathematische Begabung führte ihn bald zur Eliteabteilung des MfS ›Wissenschaftlich-technische Aufklärung‹. Nachrichtentechnik, Mikroelektronik und Datenverarbeitung wurden zu seinem Fachgebiet. Die Stasi ermöglichte ihm ein Studium, bis zum Ende der DDR blieb er ein treuer Kampfgefährte seiner Genossen.
Selbst heute beweist er der DDR noch sichtbar seine Treue. Die Westmode hatte er schon immer als dekadent verurteilt. Außer seinem Mercedes hat er von den Verführungen des Westens wenig angenommen. Seine Anzüge stammen noch immer aus den ehemaligen Textilkombinaten, seine legeren Jacken sind nach wie vor Ostjeansimitate, heißen ›Wisent‹ und ›Boxer‹ und stammen aus dem Erzgebirge. Er hat den Ostslogan verinnerlicht: ›Gehst du Lederol bekleidet, jeder Westler dich beneidet.‹ Nur seine Goldrandbrille ist modern, sie ist vom West-Discounter Fielmann, seine gelben Zähne dagegen verlangen, wie zu DDR-Zeiten, noch immer nach einer anständigen West-Pflege.
Doch Björn Otto pfeift auf sein Aussehen, er ist der Boss! Er lässt die Burschen in seiner Firma nach seiner Pfeife tanzen und Frauen, die sind für Männer wie ihn, mit seiner Machtfülle, noch nie ein Problem gewesen.
Der Computer rattert laut, ein akustisches Signal beendet die Auflistung der gesammelten Informationen zu Herbert Stengele, die Suche ist abgeschlossen, Datensätze flimmern auf seinen Bildschirm.
Er setzt sich an den Schreibtisch und liest gespannt. Doch er erfährt wenig Neues, das meiste kennt er schon, er hat Herbert Stengele seit drei Monaten im Visier. Das Unternehmen Defensive-Systems hatte damals das Wunderteleskop ZAS im Münchner Patentamt angemeldet. Zusätzlich ließ sich das Unternehmen ein weiteres Patent sichern, welches das Teleskop als ein Tunnelvortriebssystem beschrieb. Ohne umständliche Erklärung gab das Patentamt freizügig bekannt: ›Zur Verwendung beim Tunnel-und Stollenvortrieb wird ein asymmetrischer Primärspiegel vorgeschlagen, dessen Oberfläche als Teilfläche eines gedachten, rotationssymmetrischen Großspiegels geformt ist, die sich neben der optischen Achse des Großspiegels befindet.‹ Und dann kam es überdeutlich: ›Der Primärspiegel dient als Reflektor für energiereiche Strahlung, insbesondere von einem Hochenergie-Laser stammende Strahlung.‹
Das war nicht misszuverstehen. Jahrelang sind die Mitglieder der zur Stasi gehörenden Feindaufklärung darauf getrimmt worden, alle neuen Patente im Westen abzuklopfen, ob sich dahinter nicht eine neue, mögliche Hightech-Waffe versteckt.
Björn Ottos Gewährsmann in München hatte sofort reagiert. Er hatte für Ottos Abteilung schon zu DDR-Zeiten jedes neue Patent im Westen kritisch beäugt, um im Falle einer Neuentwicklung von technischen Waffensystemen das genannte Unternehmen auszuspionieren.
Nach dem Fall der Mauer wäre der Münchner Patentschnüffler, wie auch Björn Otto, ohne Papa Mielke auf der Straße gestanden. Doch Björn Otto hatte schnell reagiert und sich noch zu Zeiten der Modrow-DDR mit einigen Kollegen selbstständig gemacht. Konspirative Wohnungen der Stasi übernahm die Seilschaft kurzerhand als ihr
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