Bombenbrut
Firmeneigentum sowie Kapital, das noch in den schwarzen Kassen des geheimen Ministeriums gebunkert lag.
Björn Otto gründete schnell, was viele Westfirmen mit ihrer Ansiedlung in den ersten Monaten im Osten vermissten: Eine Security-Firma. Manchmal ließ er bei der Akquise neuer Kunden vorsichtig durchschimmern, dass einige Mitarbeiter seiner Firma früher bei der Staatssicherheit gearbeitet hätten. Zu seiner Überraschung aber lachten die Wessis, wenn er vollmundig propagierte: »Und glauben Sie mir, wir verstehen etwas von Sicherheit!«
Erneut ertönt ein akustisches Signal, Björn Otto schaut wieder gespannt auf den Bildschirm, bewegt die Maus und liest: Überweisung von Konto Herbert Stengele 244 Euro. Zweck: Bahnfahrschein Friedrichshafen–Frankfurt. Die Überweisung wurde von Stengele mit einer Kreditkarte vorgenommen, das Kreditkarteninstitut lässt alle Kundenpunkte sorgfältig von DigDat verwalten.
Björn Otto greift zur Tastatur, öffnet sein Postfach und tippt eine Mail: ›Troja für Stengele und Kluge‹.
Wer genau Iokaste war, interessiert Otto so wenig, wie wo Troja lag. Doch er weiß, was am fernen Bodensee geschehen muss, damit er möglichst schnell hinter das Geheimnis dieses Teleskopspiegels kommt, und er kennt die nötigen Befehlsformeln, damit seine Leute in die Computer der genannten Zielpersonen Scanprogramme installieren.
Er hat schon vor Wochen seine besten Kräfte auf Defensive-Systems angesetzt. Eine Schwalbe hatte diesen Matthias Kluge am Wickel, es hätte eigentlich nichts schiefgehen dürfen, doch seit dem Mord an dem Key-Accounter ist unübersehbar, dass da noch andere mitpokern.
DigDat ist bei Westfirmen als ziviler Datenverarbeiter bekannt. In Geheimdienstkreisen aber hat sich das Unternehmen längst einen ganz anderen Namen gemacht. Elektronische Einbrüche in Rechner von Ministerien oder Firmen sind ein weiteres Spezialgebiet der ausgefuchsten DigDat-IT-Spezialisten. Unerkannt nehmen sie im fernen Berlin oder Washington Großrechner der CIA oder NSA ins Visier, knacken im Bundeskanzleramt den Rechner, um einen Keylogger zu installieren, oder mal kurz mehrere Gigabytes aus fremden Regierungsrechnern abzusaugen.
›Outsourcing‹, hatte er schon gleich nach der Wende erfahren, ist das Zauberwort der sparsamen Unternehmen und auch der Regierungsdienststellen. So, wie die Amerikaner die wirklichen Drecksarbeiten der Armee im Irakkrieg den outgesourcten Soldaten des Unternehmens Blackwater überlassen, bietet DigDat allen Geheimdiensten outgesourcte Agenten.
Björn Otto ist schnell auf dem kapitalistischen Markt angekommen. Dank der Vernetzung seiner alten Stasiseilschaft und seiner Datenbank erkennt er oft Angebote, bevor Nachfragen auf dem Markt sind. So wie dieser ominöse Teleskopspiegel vom Bodensee. Ihm war sofort klar, dass diese verteufelte Technik jeder Staat will. Wenn er alle Fakten vorliegen hat, wird er das Know-how verkaufen.
8
Herbert Stengele steigt am Morgen auf Gleis 1 des Friedrichshafener Hauptbahnhofs in den Regionalzug nach Ulm. In Ulm steigt er um in den ICE, in Frankfurt lässt er sich von einem Taxi ins Quarzwerk fahren.
Noch sind im hessischen Bundesland Sommerferien, sodass in der Glasschmelze nur ein kleiner Stamm der Belegschaft versammelt ist. Im Ingenieurbüro des Technologiekonzerns für Spezialgläser freut sich Herbert Stengele über den Empfang. Er steht stolz vor einem gläsernen Quarzmodell, das ihm die Leitung des Unternehmens präsentiert.
In den großen Werkshallen kann der Erfinder vom Bodensee die Vorrichtung besichtigen, in der die ersten Teile seines Spiegelteleskops hergestellt wurden. Ein überdimensionales Gestell wurde von den Modellbauern fabriziert. Hierin soll jetzt der Primärspiegel aus 36 hexagonalen Spiegelsegmenten, die wabenförmig die Spiegelfläche bilden, geformt werden. Die Herstellung der Einzelteile selbst ist äußerst problematisch. Es handelt sich bei diesen um achsferne Ausschnitte eines Paraboloids, die sechseckig zugeschnitten werden müssen. Bei der Herstellung wird von einem kreisförmigen Rohling ausgegangen, der durch am Rand ansetzende, genau definierte Scher-und Biegekräfte verbogen wird. In den gebogenen Rohling wird eine Kugelform eingeschliffen. Danach werden die aufgebrachten Kräfte wieder entfernt. Sofern die Kräfte richtig gewählt wurden, nimmt das Spiegelsegment bei der Entlastung die gewünschte Form des Paraboloid-Ausschnittes an. Es zeigt sich jedoch, dass beim Schneiden in die
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