Bombenbrut
Jacht-Clubs schickt grell ihre orangen Blitze in die Dämmerung. Der Sommertag geht zu Ende, wie es aussieht, wird es in der Nacht regnen.
Leon nimmt einen großen Steinbrocken in beide Hände, wuchtet ihn hoch und wirft ihn mit aller Kraft so weit er kann ins Wasser. Verdammt, er sollte sich um Dornier kümmern, um seinen Film und nicht um Waffengeschäfte und tote Waffenschieber an seinem geliebten Bodensee. Und endlich mal wieder um Lena.
Wegen Lena ist er vor zwei Jahren in den südlichsten Zipfel der Republik gezogen, seitdem er hier wohnt, sieht er sie aber weniger als früher, als er noch in Stuttgart beim Sender arbeitete. Damals hatten sie sich jedes Wochenende füreinander Zeit genommen. Wann immer er konnte, ist er den Spätzle-Highway von Stuttgart an den See gebrettert. Seit er umgezogen ist, hat er immer anderes zu tun. Es wird Zeit, dass er sich bei ihr meldet. Heute Mittag hatte sie ihm eine verschnupfte Kurzmitteilung gesendet.
Statt ihr zu antworten, fährt er zu ihr, ins Hinterland des Bodensees. In Taisersdorf, auf den Höhen des Salemer Tals, wohnt sie in einem alten Bauernhaus. Er freut sich auf einen schönen Abend mit ihr und weiß, sie hat einen frischen Rosé vom Weingut Aufricht im Keller, alles Weitere wird sich dann ergeben. Sie ist für ihn nach wie vor seine Traumfrau, er liebt sie, er will sich in nächster Zeit wieder mehr um ihrer beider Liebesleben kümmern, das schwört er sich.
Unterwegs in ihr Bauerndorf will er das Grünzeug irgendwo aus seinem Wagen werfen. Das Gestrüpp auf dem Beifahrersitz muss endlich raus aus der Karre.
7
Es ist der zweite Sonntag im August. Die Seebäder rund um den Bodensee sind proppenvoll. Jedes Schattenplätzchen unter den Bäumen ist belegt. Die Lufttemperatur klettert gegen Mittag an die 40-Grad-Marke. Der Bademeister des Friedrichshafener Seebades gibt erstmals in diesem Jahr die Wassertemperatur geringer an, als er diese tatsächlich gemessen hat. Aber wer will sich schon in einem 25 Grad warmen See erfrischen?
Björn Otto, im fernen Ho-Chi-Minh-Stadt, stört sich an solchen Temperaturen längst nicht mehr. Im Saigon River, der gemächlich an seinem Bürogebäude vorbeifließt, sind 30 Grad Wassertemperatur keine Seltenheit. Und 40 Grad Lufttemperatur ist ein ganz alltäglicher Wert im Süden Vietnams, von der enormen Luftfeuchtigkeit ganz zu schweigen. In jedem Raum seines modernen EDV-Unternehmens DigDat schnurren die Klimaanlagen Tag und Nacht leise vor sich hin.
Seine Uhr zeigt, sieben Stunden versetzt zu Europa, jetzt kurz vor Mitternacht an. Für Björn Otto keine ungewöhnliche Arbeitszeit. Erst spät kommen die für ihn interessanten Daten aus Deutschland in Ho-Chi-Minh-Stadt an. So kann er sie fast live lesen. Alles, was im Westen tagsüber digital eingegeben und bei seiner Firma verarbeitet werden soll, erfährt er im fernen Osten im Bruchteil einer Sekunde. Dank der heutigen Technik hätte die Stasizentrale Mielkes statt mitten in Berlin in der Normannenstraße auch in Moskau oder sonst wo stehen können.
Björn Otto sitzt vor seinem Bildschirm und starrt auf Listen, Zahlenreihen und Tabellen. Er schließt das eine Browserfenster und öffnet ein anderes. Er ruft unendlich viele Informationen aus seinem Hauptrechner ab. Auf einer nur ihm zugänglichen Festplatte wird gespeichert, was seine Rechner, auf seinen Befehl hin, aus allen anderen Servern filtern und ihm zuspielen. Das Auswahlverfahren braucht Zeit, denn DigDat verwaltet unzählige Daten für viele private Kreditinstitute, Versicherungen, verschiedene Kundenkartenanbieter, Fluggesellschaften und seit Neuestem auch für Krankenkassen aus Europa.
Jeder Bürger, beziehungsweise Kunde, im fernen Europa wähnt sich im Glauben, er gäbe seine Daten nur der einen Firma, die sie von ihm fordert. Doch die meisten Unternehmen leiten die ihnen anvertrauten Daten zur Bearbeitung an fremde EDV-Firmen weiter; immer mehr von ihnen an DigDat nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Das dadurch entstandene Meer an Daten verwaltet Björn Otto nach den Wünschen seiner Kunden, doch gleichzeitig fischt er für sich heraus, was ihm für seine anderen Geschäfte von Nutzen ist.
Die Verwaltung oder besser gesagt das Auffinden, das Lesen und vor allem das Einordnen der Daten war für die Stasi ein nicht zu bewältigendes Problem, an deren Masse sie schließlich scheiterte. Doch Björn Otto hat daraus gelernt: Zielpersonen digital zu observieren, sie herauszufiltern, ihre Datenspuren zu verfolgen, dies alles
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