Bombenbrut
stürmt zwei Stockwerke hinauf. In einer geöffneten Wohnungstür steht Verena Kluge.
Sie ist leicht bekleidet, trägt ein fast durchsichtiges, sommerliches Strandkleid, zeigt ihre braun gebrannten langen Beine und fasst sich beim Anblick Stengeles kokett in ihre volle Haarpracht. »Herbert, ich habe gehört, du bist in Tokio, und jetzt kommst du zu mir! Wie schön.«
Herbert Stengele strahlt, seine Augen funkeln. Verlegen stottert er: »Verena, ich musste dich noch sehen, ich will wissen, wie es dir geht. Ich wäre in diesen schweren Stunden gern für dich da, aber, ja, ich fliege gleich nach Tokio. Zum Weltkongress der IAU«, fügt er stolz hinzu, »der Internationalen Astronomischen Union.«
»Komm doch herein«, lächelt Verena ihn süß an, küsst ihn etwas länger als sonst üblich auf beide Wangen.
Er drückt ihren schlanken Körper fest an sich, errötet aber daraufhin sofort. »Ich muss gehen, der Fahrer steht unten, ich wollte dir nur sagen, dass ich mich nach meiner Rückkehr bei dir melde und dass ich dich nicht vergessen habe.«
Verena geht auf seine Worte gar nicht weiter ein, nimmt ihm den Blumenstrauß ab, haucht Herbert ein leises, »Och« und »wie süß« ins Ohr, küsst ihn erneut auf die Wangen und sagt lapidar: »Viel Glück in Tokio. Mach’s gut, Herbert.«
Er strahlt sie an, geht zögernd rückwärts zur Treppe, dreht sich abrupt um und eilt zurück zum Wagen.
Von Friedrichshafen aus geht die Reise über Berlin und Moskau nach Tokio. Es ist der billigste Flug, Aeroflot, die russische Fluglinie unterbietet jedes Westangebot. Schwanke war nicht bereit, einen Direktflug zu bezahlen. Für ihn ist die Reise ein unnötiges Vergnügen des eitlen Stengele. Die Astronomische Union besteht für ihn aus spinnerten Kopernikus-Jüngern, die von Geschäften wenig Ahnung haben. Die Mitglieder kümmern sich um Planeten und Monde im All, mit dem wirklichen Leben auf der Erde haben sie wenig am Hut. Stengeles Erfindung als Teleskop zu nutzen, macht ihn nicht reich, als Strahlenwaffe ist das Ding für ihn die finanzielle Rettung seines Unternehmens.
Herbert Stengele dagegen genießt seine Tage in Tokio. Er ist endlich in den Reihen angekommen, zu denen er sich immer zählte. Er spricht vor der Vollversammlung der Union und demonstriert die Herstellung seines Spiegels, die nun erstmals eine zusammenhängende Spiegelfläche von weit über 20 Metern ermöglicht. Wohlklingende Namen der Astronomischen Koryphäen umlagern ihn und bestaunen sein mitgebrachtes Modell. Er geht ganz in seiner neuen Rolle als internationaler, gefeierter Erfinder auf.
Der wegen seiner körperlichen Länge meist gebückt dastehende Stengele, steht heute aufrecht und stolz mit seinen fast zwei Metern im großen Kongresszentrum Bunka Kaikan. Er strahlt, redet, verteilt charmant Komplimente, erklärt immer wieder seine Berechnungen und hört nicht auf, auch dem letzten Hinterbänkler des Kongresses seine Fragen zu beantworten.
Jetzt müsste ihn Schwanke sehen, denkt er, oder gar Verena.
In diesem Moment kommt ein weiterer Professor, von der Harvard University aus Boston, auf ihn zu und zieht ihn zur Seite: »Sie wissen, mein Freund, welche Möglichkeiten Sie uns da vorgestellt haben?«
Herbert Stengele hört nicht auf, über alle seine Backen zu strahlen. »Yes, Sir«, sagt er stolz.
»Nun denn, ich habe hier einen Freund unserer Universität dabei, der möchte sich heute Abend in Ruhe mit Ihnen unterhalten. Sie wohnen im Palace Hotel, ein Wagen wird Sie um 20 Uhr dort abholen.«
»Yes, Sir!« Zu mehr kommt Stengele nicht, der vermeintlich berühmte Professor der noch berühmteren Hochschule hat sich bereits abgewandt und ist im Getümmel der Astronomen verschwunden.
Stengele hat keine Zeit, sich weitere Gedanken zu machen. Es scheint ihm, als würde jeder Teilnehmer der Tagung nur darauf warten, mit ihm, dem Gastreferenten, sprechen zu dürfen. Und er ist unaufhörlich bereit, lächelnd jedem Interessierten seinen sensationell großen Teleskopspiegel zu erklären.
Am Abend, pünktlich um 20 Uhr, sieht er eine Lincoln Limousine vor sein Hotel vorfahren. Entschlossen geht er auf den amerikanischen Schlitten zu, der Fahrer steigt aus, öffnet ihm die Hecktür und bittet: »Please, Mr. Stengele.«
»Thank you.«
»You are welcome«, und schon fährt der Wagen los.
Herbert Stengele erlebt die Tage in Tokio wie in einem unwirklichen Film. Vor dem Fenster des Wagens rauscht die Acht-Millionen-Metropole Japans an ihm vorüber.
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