Bombenbrut
Stengele vor dem Hotel der Limousine und flüchtet schnurstracks in sein Zimmer.
Wie von den beiden Amerikanern angekündigt, steht am nächsten Morgen der Lincoln vor dem Hotel. Der Fahrer sitzt in der Lobby und springt auf, als er Stengele sieht. Er geht ihm entgegen, nimmt ihm seinen Modellkasten ab und führt ihn zum Wagen. Ohne ein Wort zu verlieren, fährt er ihn direkt zum Narita International Airport.
Stengele checkt am Schalter der russischen Aeroflot ein und bekommt überraschend einen Platz in der ersten Klasse zugewiesen.
»Das muss ein Missverständnis sein«, will er aufklären, doch die Stewardess lächelt ihn freundlich an und antwortet in fließendem Deutsch: »Nein, nein, Sie haben doch so viel Handgepäck«, dabei zeigt sie auf seinen hölzernen Modellkasten und erklärt freundlich: »Die Maschine ist nur halb belegt.«
Stengele hat sich langsam von dem Gespräch mit den beiden Amerikanern erholt. Er war zwar völlig verwirrt in sein Zimmer zurückgekehrt, hatte aber einige Schlaftabletten eingeworfen und war glücklicherweise bald eingeschlafen. Seine Träume schickten ihn wieder einmal auf die Reise durch das All. Er sah sich, wie so oft, als NASA-Entwickler, aber auch, von Raketen und Laserkanonen gejagt, durch das Weltall irren. Er ist jetzt froh, dass er nach Hause fliegen kann, die beiden Amerikaner haben ihm Angst eingejagt, vor allem fragt er sich seither, was es heißen mag, dass die NASA plötzlich sein Teleskop – und das ist es doch in erster Linie! – nur noch als eine Strahlenwaffe ansehen will?
Erschöpft bestellt er eine Bloody Mary bei der Stewardess und schläft kurz darauf ein.
Er träumt, wie er von fremden Menschen liebevoll umsorgt wird. Wie die charmante Stewardess eine dicke Decke um seinen Körper hüllt. Wie er sich in seinem Flugsitz völlig ausstrecken darf, und im Flugzeug sogar ein Bett zurechtgemacht bekommt.
Er glaubt, immer noch zu träumen, trifft aber endlich mit Gleichgesinnten zusammen, mit denen er über seine Erfindung reden kann, mit wahren Astronomen, die ihn verstehen. Es ist ihm, als wäre er zurück auf der Tagung in Tokio. Immer wieder erklärt er seine Berechnungen und die Kunst, die zurzeit die Quarzschmiede in Frankfurt vollbringt. Ihm werden Papiere hingehalten, auf die er die Formeln seiner Erfindung schreibt. Er sieht, wie die Männer und Frauen um ihn herum salutieren und mit Hochachtung über ihn sprechen, kurze Zeit später fällt er wieder in eine tiefe, müde Erschöpfung zurück.
Das erste Bild, das Stengele wieder bei vollem Bewusstsein sieht, ist eine alte Frau, die sich über ein großes Stück Fleisch hermacht. Sie hat einen riesigen Braten vor sich auf dem Tisch liegen, lacht hämisch aus ihrem zahnlosen Mund und schneidet an dem Fleischstück herum, als wolle sie den gesamten Fleischberg in kleinste Häppchen zerlegen. Nebenbei greift sie immer wieder zu einem großen Glas neben sich. Es sieht aus, als wäre Wasser darin, gierig trinkt sie daraus, rülpst hemmungslos und laut.
Herbert Stengele wagt es nicht, sich zu bewegen. Er bleibt, wie erstarrt, regungslos liegen. Nur seine Augen öffnen und schließen sich langsam im Wechsel. Sein Gehirn beginnt mühsam zu arbeiten, er versucht, die Augen bewusst wieder zu öffnen, die Pupillen suchen neugierig einen Halt. Wo ist er?
Er spürt eine Decke auf seinem Körper, betastet sie mit den Fingern, schielt an sich herunter und erkennt sie als ein Souvenir der Fluggesellschaft Aeroflot.
Also doch!, denkt er, ich war im Flieger der russischen Fluggesellschaft, die Maschine hatte in Tokio abgehoben. Und weiter? – Filmriss, er kann sich an nichts weiter erinnern. Er sieht das Bild der freundlichen Stewardess, die Bloody Mary und seine Traumbilder. Sie scheinen ihm unklar und weit weg, und doch real und nah. Er weiß nicht, was er denken soll, lächelt etwas gequält, schließlich lebt er noch.
Aber wo? Im Flugzeug ist er definitiv nicht mehr, und die scheußliche Babuschka ist auch keine freundliche Stewardess.
Er versucht, sich unbemerkt umzuschauen, lässt seine Pupillen schweifen, sieht nackte Wände um sich, herunterhängende Tapeten, Schimmel in den Ecken und wieder die alte Frau inmitten des Zimmers an ihrem Tisch in dem zähen Braten stochern. Über ihr hängt eine nackte Birne, die dem armseligen Raum ein bisschen Licht spendet.
Er selbst liegt an einer Wand gegenüber der Alten, vermutlich auf einer Couch, einem Bett oder sonst einer Liege. Er schließt die
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