Bombenbrut
schaut zu dem ihm fremden Mann, der noch immer unbeweglich im Schlafzimmer seiner Mutter steht. Er ist nicht viel älter als er selbst, und ihm fällt auf, dass er eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm hat. Nur der Typ ist schwarzhaarig, dunkler Teint, fast wie ein italienischer Gigolo. Er wirkt muskulös, sportlich und trägt Boxershorts, die er sich vermutlich schnell übergezogen hat.
»Wir kennen uns schon länger«, versucht er zu erklären und blickt zu Verena, »wir kannten uns schon, bevor …«
»Spar’s dir«, schneidet Markus ihm energisch das Wort ab. Ihm fällt sein Termin ein. Nur kurz drückt er seine Mutter an sich. Dabei riecht er das Männerparfum an ihr. Lässt sie schnell wieder los, dreht sich um und geht durchs Treppenhaus zu seinem Wagen.
Mit aufheulendem Motor schießt er aus dem Schlosshof. Menuhin ertönt wieder. Sonata No. 3 in C Major BWV 1005 – Adagio. Nur das nicht!, flucht Markus innerlich und scrollt auf dem Display seines iPods ans Ende: Adagio, Ma Non Tanto, und dann Allegro. Er ist wütend und enttäuscht. Verdammt, warum hat sich seine Mutter nicht einmal im Griff? Sein Vater wurde gerade vor einer Woche beerdigt, er war immerhin ihr Mann, das hat er nicht verdient. Ob Joseph oder Peter, dieser Body-Akrobat ist ihm gleichgültig, und wenn er es sich recht überlegt, ist er es sicher auch seiner Mutter. Er ist nur einer mehr in der langen Liste ihrer bedeutungslosen Lover.
Manchmal hasst er sie für ihre hemmungslosen Ausschweifungen, dann fragt er sich: »Für wen mache ich das alles? Warum übernehme ich das Geschäft meines Vaters? Waffenverkäufer und jetzt auch noch gesetzeswidriger Waffenschieber, nur um sie vor dem Ruin und dem Ende ihres luxuriösen Lebensstandards zu bewahren?« Am liebsten würde er aus dem Geschäft aussteigen und endgültig etwas ganz anderes machen. Doch noch Musik studieren? Geige! Zu alt dafür ist er noch nicht. Ungehalten gibt er Gas und strebt seinem Verkaufstermin entgegen.
Im Jachthafen von Schloss Kirchberg liegen rund 500 Boote der Freizeitkapitäne des Bodensees. Auch Matthias Kluge hatte hier seinen ganzen Stolz untergebracht. Er hatte sich einen Oldtimer gekauft und diesen mit allen modernen technischen Schikanen ausstaffiert. Der alte Mahagoni-Schiffsrumpf der New Craft erinnert an die legendäre Riva, zählt aber mit zwei neuwertigen Mercruiser – je 327 PS – zu den schnellsten Rennjachten auf dem Binnengewässer zwischen Deutschland, der Schweiz und Österreich.
Markus kennt die Rennjacht seines Vaters in-und auswendig. Er ist auf ihr groß geworden. Gekonnt legt er ab, manövriert das Boot aus dem Hafen und steuert hinaus auf den offenen See.
Jetzt ist es kurz vor 16 Uhr, er hat es nicht eilig. Der Treffpunkt liegt exakt in der Mitte des Sees, zwischen dem deutschen Ort Fischbach und dem schweizerischen Uttwil. Er hält den Kurs südöstlich, sieht am Horizont die Fähren zwischen Friedrichshafen und Romanshorn pendeln und gibt dem automatischen Piloten den Längengrad 9°22'09'', und den Breitengrad 47°37'33'' ein. Es ist ein markanter Punkt des Bodensees, exakt über der größten Seetiefe von 254 Metern und weit weg von allen Ufern, mitten auf dem Wasser.
Die Gedanken an seine Mutter und an diesen Joseph wischt Markus beiseite. Er muss sich jetzt auf sein Vorhaben konzentrieren. Wen wird er treffen? Wie wird die Gegenseite sich verhalten? Wie weit war sein Vater schon mit den Verhandlungen fortgeschritten?
Er ist gut in der Zeit. Er hat sein GPS fest im Blick. Um ihn herum sind nur noch wenige Boote. Die meisten Sommerfrischler dümpeln mit ihren Schiffchen nahe an den Ufern entlang. Von ihm aus sind es inzwischen weit über fünf Kilometer zum nördlichen sowie zum südlichen Ufer, nach Westen oder Osten hin ist gar kein Land mehr in Sicht. Niemand ist ihm gefolgt und auch sonst scheint er weit weg von jeglichen lästigen Zeugen zu sein.
Der Ostwind hat überraschend nachgelassen, dafür blinken die Sturmwarnleuchten auch heute wieder hektisch in Erwartung eines aufkommenden Unwetters. Typisch Bodensee: Beinahe jedem heißen Sommertag folgt ein heftiger Gewittersturm zum Abend, meist aus Westen. Zunächst herrscht noch Ruhe vor dem Sturm.
Markus kann es recht sein. Er beobachtet, wie die meisten Freizeitkapitäne besorgt ihre Boote in den Hafen steuern. Nur eines nähert sich von Osten her unaufhaltsam dem offenen See in seine Richtung. Markus nimmt das Fernglas zur Hand. Er erkennt eine große Motorjacht mit hohem
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