Bombenspiel
unbeaufsichtigt herumstehen zu lassen. Sie suchte nach dem Afrikaner, der sich in Richtung einer Menschenmenge an einem anderen Schalter mit eiligen Schritten davongemacht hatte. Warum konnte er mit seinem Handy nicht von hier aus telefonieren? Wohin war er gegangen? Sie entdeckte die rosarot gekennzeichneten Telefonzellen am anderen Ende des Terminals. Doch der Schwarze war zu klein, um zwischen den vielen Reisenden aufzufallen.
Die Schlange vor ihr bewegte sich in Richtung Gepäckaufgabe. Sie schob ihre Reisetasche über den Steinboden und zog zögernd den braunen Lederkoffer des Afrikaners hinter sich her. Keine Explosion, kein Knall, kein seltsames Ticken. Jetzt sah sie den Pelzkragen in einer der Telefonzellen aufleuchten. Er schien tatsächlich zu telefonieren. Wieder bewegte sich die Schlange um drei Meter nach vorn. Als sie seinen Koffer anfassen wollte, stand er plötzlich wieder hinter ihr und nahm ihr den Griff aus der Hand.
»Danke sehr vielmals«, sagte er artig und hielt ihr sein Handy vor das Gesicht. »Akku leer!«
Zehn Minuten später rollten die 15 Kilogramm ihrer kleinen Reisetasche über das Förderband und sie hielt ihre Bordkarte in der Hand. Den kleinen Afrikaner verlor sie aus den Augen.
Sie liebte die Flughafenatmosphäre und beobachtete interessiert die Passagiere, die auch heute, am Feiertag, in gewohnt großer Anzahl zwischen den Terminals pendelten. Was trieb die Menschen dazu, dachte sie, an Weihnachten in alle Welt zu fliegen? Sie gönnte sich einen Cappuccino in einer der Cafébars, später ein Pils an einer Stehtheke, und ging zwei Stunden vor Abflug in den Check-in-Bereich.
Unter den Passagieren des Flugs nach Johannesburg waren zahlreiche Afrikaner, die, teils in dunklem Anzug, teils in traditionelle bunte Kleider gehüllt, der Abflughalle etwas Exotisches verliehen. Sie nahm auf einem der freien Plastikstühle Platz und wartete, bis der Flug aufgerufen wurde. Da sie mit dem Rücken zum Gang saß, bemerkte sie nicht, wie sich ihr der Afrikaner mit dem pelzbesetzten Ledermantel näherte.
»Sie fliegen auch weiter nach Durban?«, raunte er und lächelte sein zahnlückenloses Lächeln.
Sie fuhr herum. »Woher wissen Sie das?«, fragte sie und ihre Stimme klang rau.
»Ich habe das Kürzel auf ihrem Gepäckabschnitt gesehen.«
Sie erschauderte. Warum interessierte sich der Mann für ihr Reiseziel?
»Dann haben wir dieselbe destination «, bemerkte er und sprach das letzte Wort englisch aus. »Darf ich fragen, wo Sie sitzen – oder ist es Ihnen unangenehm?« Sie schüttelte ihren Kopf und zeigte ihm ihre Bordkarte. 17B.
»Oh, welch ein Zufall!«, rief er und starrte auf seine Flugpapiere. »Wahrscheinlich, weil ich direkt hinter Ihnen am Schalter war – 17A. Freut mich sehr. Mein Name ist Moses Samuba.« Es schien ihn nicht zu stören, dass sie schwieg, und sie überlegte für einen Augenblick, ob sie bei einer der Flugbegleiterinnen nach einem anderen Platz fragen sollte, als das Boarding begann.
Moses Samuba überließ ihr den Fensterplatz. Er sei die Strecke schon so oft geflogen, und außerdem sei es ja Nacht. Sie sei sehr müde, entgegnete sie, und wandte ihren Kopf zum Fenster. Es war eine Gabe, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, in jeder Situation und überall tief und fest schlafen zu können. Wie im Traum nahm sie aus weiter Ferne noch die Stimme Samubas wahr, der ihr irgendetwas von finnischen Bären erzählte, dann die Sprecherin des Animationsfilms, die mit den Sicherheitsvorkehrungen an Bord vertraut machte.
Auch Moses Samuba lehnte sich zurück und schloss seine Augen. Er ließ den finnischen Winter hinter sich, um in den südafrikanischen Sommer zu fliegen. Tauschte die ewige Nacht mit dem Kreuz des Südens. Seine Heimat war der Umfolozi, dorthin kehrte er zurück, um das, was er in Finnland über die Braunbären gelernt hatte, auf Löwen und Leoparden anzuwenden. Niemand hier in diesem Flugzeug ahnte, dass er in Finnland noch eine ganz andere Ausbildung erhalten hatte. Stolz und siegessicher flog er jetzt in sein Land.
Afrika würde schon sehr bald wieder nur den Afrikanern gehören.
Sonntag, 27. Dezember 2009, Durban - Noch 165 Tage
Sie verließ den Durban Airport und hielt direkt auf den Taxistand zu. Der Fahrer kannte das Hotel, lud ihre Reisetasche ein und fuhr sie durch das dichte Verkehrsgewimmel einer südafrikanischen Großstadt. Sie war noch nie in Afrika gewesen, kannte den Kontinent nur aus Filmen und Büchern. Und aus den
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