Bombenspiel
Erzählungen ihrer Freundin Linda.
Hier lernte nun auch Karin die afrikanische Realität kennen. Mehrspurige Highways, von Bougainvilleen und Palmen begrenzt auf der einen, armselige Hütten mit Wellblechdächern inmitten von Schutthaufen statt Gärten auf der anderen Seite. Limousinen und Pick-ups nahmen an den Kreuzungen am Stadtrand den Handkarren und Eselgespannen die Vorfahrt. Barfüßige Kinder mit kranken Augen, die im Straßengraben lungerten, erweckten ihr Mitleid, Halbwüchsige mit Knüppeln und Knarren, die auf den Ladeflächen der hupenden Kleintransporter lärmend durch die Straßen fuhren, machten ihr Angst.
Die Zufahrt zum Hotel brachte sie in eine andere Welt. Palmenarkaden, von einem künstlich angelegten Rinnsal bewässert, muntere Springbrunnen, ganze Beete voll farbenfroh blühender Proteen, Flamingoblumen, Agaven und Hibiskus, der Parkplatz für ankommende Gäste unter einem gewölbten Baldachin, auf dem in goldenen und blauen Buchstaben das Wort ›Willkommen‹ in mehreren Sprachen zu lesen war.
Livrierte Bedienstete eilten herbei, schafften ihr Gepäck an die Rezeption, reichten ihr einen duftenden Begrüßungscocktail und führten sie freundlich lächelnd zum Aufzug, nachdem sie sich als Freundin von Mr. Fries zu erkennen gegeben hatte. Eine der blutjungen Afrikanerinnen hinter dem Empfangstresen nannte ihr Hennings Zimmernummer und wies ihr den Weg zum Aufzug.
Es war kurz vor ein Uhr mittags, als sie an die Tür des Zimmers 414 klopfte. Zunächst dachte sie, die Nummer falsch verstanden zu haben, als sie in das Gesicht der dunkelhäutigen Frau starrte, die ihr geöffnet hatte. Doch dann hörte sie im Hintergrund Hennings Stimme rufen: »Wer ist es denn, Darling?«, und spürte im selben Augenblick, wie sich ihr Magen verkrampfte und ihr der bittere Geschmack von Galle in die Kehle stieg. Sie hörte noch das »keine Ahnung, ich kenn die Frau nicht« der schwarzen Schönheit, als ihr schwindelig wurde, und sie sich mit schwankenden Schritten an der Wand entlang zum Aufzug tastete. Wie sie nach unten kam, wusste sie nicht mehr, ihre Gedanken wurden erst wieder klar, als sie sich draußen vor dem Hotel vor einer Palme kniend wiederfand, die Hände am rauen Stamm aufgeschürft, die Lippen blutig gebissen und die Augen brennend gerötet.
»Schwein!« Wie in Trance trommelten ihre Fäuste gegen den Baum und ihre Lippen formten immer nur die eine Silbe, die ihrer heiseren Kehle wie ein Grunzen entwich, während ihr Tränen die Wangen runterliefen: »Schwein!«
Und die Gedanken, die dieses Wort stumm begleiteten, waren vernichtend.
»Schwein!«
2010
Samstag, 9. Januar 2010, Aalen, Schwäbische Alb - Noch 152 Tage
Zeitpunkt und Ort waren ideal gewählt. Die Limes-Therme Aalen war an diesem klirrend kalten Wintermorgen dichter von Nebelschwaden umhüllt als ein schottisches Hochlandmoor in einem Gruselfilm. Der Schnee, der in den letzten Tagen den Winter erneut auf die Ostalb gebracht hatte, war in den kalten Nächten bei nahezu minus 20 Grad zu hartem Firn erstarrt und reichte so weit an das Thermalbecken heran, dass man ihn vom Wasser aus mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte.
Die Köpfe der wenigen Menschen, die an diesem Morgen kurz nach Öffnung der Kassen draußen schwammen oder am Beckenrand an den Massagedüsen hingen, tauchten nur schemenhaft zwischen den Dunstwolken auf, und der Gast, der soeben aus der Schwimmhalle in den Außenbereich getaucht war, hatte zunächst Mühe, sich im Nebel einen Überblick zu verschaffen. Der warme Dampf, der sich in der eiskalten Luft über der Wasseroberfläche wie in einer Dunstglocke hielt, hüllte die Gesichter der Mitschwimmenden in blasse Anonymität, und wenn man nach oben sah, ließ sich ein blauer Morgenhimmel mit einem seltenen Hauch einsamer weißer Wolken erahnen. Es würde ein sonniger Tag werden, ein Wintermärchen auf der Schwäbischen Alb.
Der Gast versuchte, im Nebel die Wasserspeier zu entdecken, die sie als Treffpunkt ausgemacht hatten. Dort musste der andere auf ihn warten. Wie Periskope einer Miniatur-U-Bootflotte tauchten die zehn Metallrohre am halbkreisförmigen Ende des Beckens auf. Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, ließen sich das warme Wasser auf Genick und Rücken platschen. Er hielt auf den Mann zu und peilte die Wasserdüse neben ihm an. Das Rauschen übertönte alle anderen Geräusche, und um mit seiner Stimme dagegen anzukommen, drehte er seinen Kopf und beugte seinen Oberkörper leicht in
Weitere Kostenlose Bücher