Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
schließlich nicht zaubern.«
Tannenberg rieb sich mit fahrigen Händen die Stirn, so als sei sie von einem plötzlichen Juckreiz befallen. »Was mach ich jetzt bloß? Was mach ich jetzt bloß?«, brabbelte er litaneienartig vor sich hin. Er atmete sehr schnell. Seine Lippen zitterten. »Ich muss unbedingt da rein.«
»In die Halle?«, fragte Dr. Schönthaler.
»Ja.«
»Aber wie denn? Die Eingänge sind doch mit Sprengfallen versehen.«
»Der Karl muss mir, muss mir helfen, da irgendwie … Ich muss da irgendwie reinkommen«, stotterte Tannenberg. Er wandte sich zu Mertel um, der noch immer zwischen den beiden umgekippten Stahlplastiken nach verwertbaren Tatortspuren suchte. Er ließ die Seitenscheibe herunter.
»Karl«, brüllte er aus vollem Halse, »komm mal her!«
Einige der vor der Pfalzgalerie versammelten Beamten und die meisten der zahlreichen Schaulustigen warfen reflexartig ihre Köpfe in Tannenbergs Richtung. Als er seinen Vornamen hörte, blickte natürlich auch der Kriminaltechniker neugierig zu ihm hin. Staunend betrachtete er seinen langjährigen Kollegen, wie er wild gestikulierend aus dem Autofenster herauswinkte.
»Was ist denn, Wolf? Siehst du nicht, dass ich zu tun habe?«
»Bitte, Karl, schnell. Es ist wirklich sehr wichtig.«
»Okay, alte Nervensäge, ich komme ja schon.« Er erhob sich und begab sich hastigen Schrittes zu Tannenbergs Auto.
Mertel, der einen weißen Plastikoverall und Überschuhe aus demselben Material trug, hörte sich die schier unglaubliche Geschichte an, die ihm der Leiter des K 1 mit hektischen Worten erzählte. Er arbeitete schon seit vielen Jahren eng mit ihm zusammen. Obwohl sie sich dienstlich nicht selten in die Haare gerieten, hatten sich die beiden, von ihrem Wesen her recht unterschiedlichen Männer, mit der Zeit angefreundet. Deshalb kannte Mertel auch Tannenbergs Familie ziemlich gut. So war es nicht weiter verwunderlich, dass er ähnlich betroffen reagierte wie der Rechtsmediziner.
»Oh Gott. Hoffentlich geht das gut«, seufzte er fassungslos.
»Karl, ich muss ihnen helfen. Ich muss unbedingt da rein.«
»Wie willst du das denn anstellen?« Mertel wies mit einer ausladenden Geste dorthin, wo am Sockel der Pfalzgalerie der tote Landtagsabgeordnete lag. »Diese Mistkerle sind doch absolut rücksichtslos und brutal. Die haben uns gerade bewiesen, dass sie bereit sind, über Leichen zu gehen.«
»Genau deshalb muss ich ja da rein«, wiederholte Tannenberg.
»Aber das Risiko ist viel zu groß, Wolf. Nicht nur für dich. Denn damit würdest du doch erst recht die Zuschauer in der Fruchthalle gefährden«, gab der Kriminaltechniker zu bedenken.
»Verdammt, du hast ja recht. Aber ich kann doch meine Familie in so einer gefährlichen Situation nicht alleine lassen. Ich will bei ihnen sein«, schniefte er. Mit einer fahrigen Bewegung putzte er sich die Nase.
»Wenn die Forderungen erfüllt werden, passiert ihnen ja sehr wahrscheinlich überhaupt nichts«, versuchte Mertel seine Ängste zu reduzieren.
»Trotzdem muss ich da rein«, beharrte Tannenberg. Er verengte die Augen und presste seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Wenn irgendwas schiefgeht, will ich bei ihnen sein.« Verzweifelt wiegte er seinen Kopf hin und her. »Ich kann sie in dieser lebensgefährlichen Lage nicht im Stich lassen. Marieke ist doch hochschwanger, verflucht noch mal.«
»Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, auf einem anderen Weg in die Halle hineinzugelangen«, bemerkte Dr. Schönthaler mit nachdenklicher Miene.
Mertel und Tannenberg bombardierten ihn sofort mit fragenden Blicken.
»Und wie?«, sprudelte es wie aus einem Munde hervor.
»Nicht durch die Eingangstüren.«
»Sondern?«
»Ich hab mal vor langen Jahren an einer Führung durch die unterirdischen Gänge der Kaiserburg teilgenommen.« Er stockte.
»Ja, und weiter?«, drängte Tannenberg.
»Da sind wir an einem verschlossenen Eisentor vorbeigekommen. Der Stadtführer hat behauptet, dass zwischen der Kaiserburg und der Fruchthalle im Mittelalter die Katakomben der Stadt gewesen seien.«
»Die Katakomben?«, fragte der Kriminaltechniker mit gekrauster Stirn.
»Genau. Unter der Ost-West-Achse befindet sich anscheinend so etwas wie ein unterirdischer Friedhof. Dort haben sie damals die Opfer der Pest hingebracht.«
»Und du meinst, dass durch diese Katakomben vielleicht ein Zugang zur Fruchthalle existiert?«
»Könnte doch sein, Wolf«, antwortete Dr. Schönthaler. Er knetete sein Kinn,
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