Bombenstimmung: Tannenbergs sechster Fall
Rotlicht unterhalb des Kameraobjektivs glimmte auf.
»Meine lieben Zuschauer zu Hause an den Bildschirmen«, sagte er mit abgesenkter Stimme in sein Mikro. »Wir haben uns heute Abend noch etwas ganz Besonderes für Sie einfallen lassen: Zum ersten Mal seit Bestehen unserer Millionenshow werden Sie nun bei etwas Außergewöhnlichem live dabei sein.« Er wurde noch etwas leiser und fuhr fast in Flüsterton fort: »Wie werden nun den Kandidaten in ihrer sonst hermetisch abgeriegelten Kabine einen überraschenden Besuch abstatten. Aber nicht nur das. Sie werden Bauklötze staunen!«
Die Führungskamera zoomte auf die goldfarbene Klinke der Kabinentür, auf welcher der Quizmaster gerade seine rechte Hand ablegte. In Zeitlupe drückte er den Metallgriff nach unten und öffnete behutsam die Tür.
Die drei Tannenbergs, die vom Leiter des K 1 natürlich vorab von dieser Aktion informiert worden waren, mussten nun die völlig Überraschten mimen. Dies gelang ihnen auch nahezu perfekt: Verblüfft unterbrachen sie ihre angeregte Diskussion und blickten entsetzt zu den Eindringlingen hin.
»Da staunen Sie, was?«, spielte nun auch Marco Kern die ihm in diesem wahrhaften ›Kammer-Spiel‹ zugedachte Rolle.
Die Kandidaten schwiegen mit betretenen Mienen.
Mit Blick auf einen der Monitore verkündete der Moderator: »Das ist Timing! Wie ich sehe, ist genau in diesem Moment Ihre Bedenkzeit abgelaufen. Haben Sie sich inzwischen für eine der acht Alternativen entschieden?«
»Ja«, antwortete der Teamchef, »haben wir. Und zwar …«
»Stopp!«, befahl Kern. »Behalten Sie Ihre Wahl bitte noch eine Weile für sich! Damit aber alles mit rechten Dingen zugeht, schreiben Sie bitte den entsprechenden Buchstaben auf diesen Zettel hier.«
Marco reichte Jacob ein zusammengefaltetes Blatt. Der Senior malte, ohne dass ihn die Kamera dabei beobachtete, einen Buchstaben auf das Papier. Anschließend reichte er den Zettel zurück.
»Danke! Wir möchten unseren Fernsehzuschauern ausnahmsweise einmal Gelegenheit geben, bei einem Entscheidungsfindungsprozess live dabei zu sein. Um hautnah zu erfahren, wie ein Team zu einer, letztendlich ja für alle verbindlichen Entscheidung gelangen kann. Deshalb, liebe Familie Tannenberg, möchten wir Sie nun bitten, uns einen Einblick in diesen Prozess zu ermöglichen. Erzählen Sie doch einfach mal. Vielleicht fangen wir mit Ihnen an, Tobias. Schließlich handelt es sich ja bei dieser Frage um eine aus dem Sozialkundeunterricht.«
Tobi blies die Backen auf, hob die Schultern. »Also, da machen wir gerade das Grundgesetz.«
»Geht es im Grundgesetz denn nicht auch an irgendeiner Stelle um das Recht auf Arbeit?«, protzte Marco Kern mit politischem Basiswissen.
»Ähm, na ja, schon«, stammelte Tobias. »Ist aber trotzdem nicht gerade mein Spezialgebiet.«
Heiner sah anscheinend die Zeit gekommen, seinem Sohn hilfreich zur Seite zu springen: »In seinem Alter hätten Sie diese Frage wahrscheinlich auch nicht beantworten können, Herr Kern«, bemerkte er keck. Mit einem kurzen Seitenblick zu seinem Vater schob er nach: »Da waren wohl eher wir beide gefragt.«
»Dann erzählen Sie mal«, forderte der Moderator.
»Uns war sofort klar, dass es sich bei dem Bundesland mit der höchsten Arbeitslosigkeit um ein Land aus der Ostzone handeln muss«, erklärte Jacob.
»Bitte?«, fragte Kern im Brustton der politischen Korrektheit.
»Aus den neuen Bundesländern, meint mein Vater«, übersetzte Heiner.
»Ich weiß schon, was ich meine!«, giftete der Senior zurück. »Also sind Berlin, Bremen, Hamburg und auch das Saarland …«, Jacob gelang es gerade noch in letzter Sekunde, einen seiner berüchtigten, ketzerischen Bemerkungen zu dem pfälzischen Nachbarland hinunterzuschlucken, »schon mal weg. Aber bei den Ossiländern …«
»Das war schon recht schwierig«, fiel ihm sein Sohn ins Wort. »Da waren wir alle ziemlich unsicher.«
»Aber mein Vater, der ja schließlich Lehrer ist«, bemerkte Tobias mit spöttischem Unterton, »hat dann doch ein paar waghalsige Spekulationen rausgehauen.«
»Die uns aber auch nicht viel weitergebracht haben«, bemerkte der Teamchef schmunzelnd.
»Ja, wir sind ganz schön rumgeeiert«, meinte Tobias. »Bis dann …«
»Bis dann plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel die richtige Lösung im Raum stand«, schnitt ihm Jacob, der offensichtlich große Angst hatte, dass sein Enkel sich gleich verplappern würde, das Wort ab. »In Gestalt meines Sohnes. Der hat
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