Bonbontag
schaute Ari wütend an, verächtlich.
»Komm zurück ... Du brauchst nicht weiter ...«, bat Ari ihn. »Wir haben die Schlüssel!«
Tomi schaute misstrauisch, begriff nicht, was Ari meinte.
»Wir haben die Schlüssel für Mirabellas Wohnung!«
Irgendwo weit weg, irgendwo in der Tiefe ging Licht an. Plötzlich war Tomis ganzes Gesicht nichts als Licht.
»Max ... Mira ...«, sagte Tomi.
Er drehte sich, lockerte kurz den Griff und rutschte ab.
Dunkelheit.
26
Das kann man nicht in einem Roman unterbringen, dachte Ari. Das glaubt keiner.
Er lachte. Das Lachen ließ die Tränen auf den Wangen hüpfen.
Angehaltene Augenblicke, die sich voneinander abhoben. Kleine Ewigkeiten.
Wie die Zeit stehen blieb. Man konnte nicht einmal schreien. Alle erstarrten. Dann tat die große Polizistin das, wozu sonst niemand in der Lage war. Sie ging auf den Balkon. Schaute übers Geländer in den Abgrund.
»Volltreffer«, bemerkte sie reichlich trocken. »Ist mitten aufs Kissen gefallen.«
Eine Achterbahn. Dieses Leben ist eine Achterbahn. Plötzlich rast du in einen dunklen Tunnel hinab. Und dann geht es einfach wieder aufwärts.
Kinder sind wundersame Wesen. Keine richtigen Menschen. Seltsame, von den Sternen gefallene, elastische Kreaturen.
Wenige Minuten später stand der Junge außer Atem vor ihm. Er war die Treppe heraufgerannt.
»Und?«, fragte Tomi.
Ari streckte die Hand aus. Er wollte dem Jungen über die Haare streichen, aber der wich verwundert zurück.
Was kann man so einem Wesen sagen?
»Wie war der Flug?«
»Ganz okay«, antwortete Tomi. »Zuerst hatte ich aber ... ein bisschen Angst.«
»Ehrlich?«
»Ich könnt’s trotzdem noch mal machen.«
»Ja, ja.«
»Das war ein Witz.«
»Ein ziemlich schlechter.«
Tomi sah ihn erwartungsvoll an, die Antwort auf die Frage, die er gestellt hatte, stand noch aus. Erst jetzt begriff Ari, dass der Junge nicht vor Atemlosigkeit zitterte.
»Und?«, wiederholte er. »Wo sind die Schlüssel?«
Ari schaute Tomi an, der von einem fernen Stern herabgefallen war. Eine ganz schöne Reise hatte er hinter sich. Und aus dem Weltall unfassbaren Kinderglauben und Geradlinigkeit mitgebracht.
»Ich habe sie Katri gegeben ... also der ...«
»Ich weiß, wer das ist.«
»Gut. Und Katri und ihr Kollege sind gerade mit den Polizisten reingegangen.«
Tomi schaute auf die Tür, die wieder geschlossen war.
»Ich will Mira sehen.«
»Warten wir erst, bis ...«
»Ich will sehen, ob sie ...«
Die Tür ging auf. Jemand trat in den Gang. Oder kam, genauer gesagt, rückwärts aus der Wohnung.
Es war Katri.
Sie schaute lange auf die Wand gegenüber. Erst dann sah sie Ari und Tomi.
Wie ganz von weitem schaute sie die beiden an.
27
Die schönen Dinge. Die schönen Dinge des Lebens. Die Mädchen. All das wunderbare Quengeln und Motzen. Und der Schnee. Der frische Schnee da draußen. Die Schneeluft. Die man tief einatmet. Die Menschen. Menschen, die ihre Angelegenheiten regeln. Die es gut meinen. Die es nicht böse meinen. Die nervenden, niedlichen, dämlichen Menschen. Die Kinder. Egoistische, zornige Bälger, wunderbar. Die Sorge um das Kind, um den Schwächeren, um wen auch immer. Das gute Gefühl, wenn man helfen kann. Die Bedeutung, der Sinn darin. Der Zweck von allem. Sich kümmern. Man musste sich kümmern, auch wenn es zu viel wurde, auch wenn es wehtat.
Das größte egoistische Glück, wenn das eigene Kind glücklich ist. Ein kleiner zerbrechlicher Moment. Man kann ihn nicht besitzen. Mag er noch so zerbrechlich, vergänglich sein, wahr ist er doch.
Liebe, ja, bitte.
Katri kämpfte gegen die Übelkeit an. Gegen die Bilder.
Bückte sich im Treppenhaus, hob einen Schokoriegel auf.
Was riecht hier so, sagte der Mund eines großen Mannes.
Die Tür. Sie wird gewaltsam aufgemacht.
Ein angehaltenes Bild. Alles an seinem Platz.
Das Mädchen, klein, mitten darin.
Eiternde Wunden.
Bonbons, ein umgekippter Topf.
Ein Meer aus Bonbons. Exkrementen. Erbrochenem.
Das kleine Mädchen, das sich gerade noch so über Wasser hält, noch ...
Katri versuchte durch die Balkontür, die hinter Tomi und Ari einen Spaltbreit offen stand, kalte Luft einzusaugen.
»Mira ist krank.« Sie sagte es schnell, sah Tomi dabei fest in die Augen, versuchte Widerspruch zu unterbinden. »Sie braucht einen Arzt.«
»Ich muss ...«, fing Tomi sogleich an.
»Leider kannst du jetzt nicht zu ihr gehen«, fuhr Katri im selben Atemzug fort. Sie schaute Ari an, suchte Unterstützung, sagte dann, mit Betonung
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