Bonbontag
Studentin, vermutete Ari und stellte sich vor, dass er in ihren Augen alt aussah, vierzigjährig, seinem Alter entsprechend.
Ich müsste mehr Sport treiben – ein nagender Gedanke, der seinen Eifer dämpfte. Er blickte auf den Rücken der Frau und die darauf hüpfende ... Haarwelle.
Haarwelle. Das könnte man benutzen.
Ari sah der Läuferin nach. Je weiter sie sich entfernte, desto schöner sah sie aus.
Eine Liebesszene ... Wie wäre es mit einer Sexszene? Am Ende des Films? Ziemlich merkwürdig.
Oder originell?
Dann müsste man allerdings die Tochter aus der Szene jagen. Und dann kein Gerammel, sondern etwas weich Gezeichnetes, Ästhetisches, mit dem richtigen Maß an Hall unter den Seufzern.
Es könnte auch eine Fantasie sein. Oder vielleicht irgendwie mehrdeutig?
Im Schutz der Büsche ... Doch, das würde man hier unterbringen können. Aber was entwarf er hier eigentlich gerade? Die Schlussszene des Films oder den Roman?
In der Drehbuchfassung müsste es filmischer sein. Es müsste die Illusion von einem geschützten Ort am Wasser entstehen. Aber die Grundidee wäre im Film wie im Roman dieselbe: ein Stück Grün am Stadtrand. Im Schoße der Natur, aber ohne die urbane Bindung zu vergessen.
Jetzt war es Zeit, umzukehren. Die Begeisterung festhalten! An den Schreibtisch!
Es ist Liebe, würde Ari in seinem Roman schreiben. Oder etwas in der Art.
Ari hatte seinen Schritt beschleunigt und versucht, an nichts anderes zu denken als an die Schlussszene. In Gedanken vertieft, war er auf den vertrauten Wegen gegangen.
Kurz vor dem Schwimmbecken-Wald wurde er von einer Erinnerung abgelenkt.
Vor fünf Jahren, nach dem Erscheinen seines Debüts, hatte das lokale Anzeigenblatt ein Interview mit ihm gemacht. Ari hatte vorgeschlagen, dass man ihn dort fotografierte. Im Schwimmbecken-Wald, hatte er gesagt, und erst da begriffen, dass niemand verstand, was er meinte.
Es war allein seine Bezeichnung und die von seinen Freunden. Aus einer Zeit, in der sich das Weltall noch im Urzustand befand. Als es noch keine Bezeichnungen gab. Bis die ersten Menschen kamen, er und seine Freunde, und den Dingen Namen gaben.
Ein großes Planschbecken dominierte das Areal, an der tiefsten Stelle einen Meter tief. Da war es immer noch, aber seit Jahren wurde es nicht mehr gefüllt. Wahrscheinlich wegen neuer Sicherheitsbestimmungen. Aber es zog noch immer die Kinder aus den umliegenden Tagesstätten an, vor allem im Herbst, wenn man durch die Blätter waten konnte, die ins Becken gefallen waren.
Im Winter ging es eher auf den kleinen Sportplatz, der Anfang des Jahres zur Eisbahn gemacht wurde. Jetzt trieben sich nur ein paar Schulanfänger mit Eishockeyschlägern dort herum. Kein Wunder, denn das Eis war schlecht. Heutzutage konnte niemand mehr richtiges Eis machen. Die Winter waren miserabel, die Eismacher faul.
Hier waren sie oft gewesen, hatten gespielt, hatten alles Mögliche und Unmögliche getrieben.
Ari blickte zum Planschbecken hinüber, dort regte sich etwas am Beckenrand, eine Gestalt.
Und schon regte sich auch etwas in weiterer Ferne, in einer Zeit, bevor man den Dingen einen Namen gab. Vor der Moral. Zuerst war die Angst, dann die Scham. Bevor ...
Jetzt erkannte Ari, dass ein Kopf über den Rand lugte. Zuerst glaubte er, es sei ein ausgebüchster Kindergartenwicht, aber dann begriff er, dass die Person auf dem Boden des Beckens saß und daher größer sein musste. Ein Schulkind. Ein Schuljunge?
Ein Junge saß auf dem Boden des leeren Planschbeckens.
Des einen Angst, des anderen Scham. Vor den Namen.
Das heißt, Namen hatten sie schon. Sie, die den Dingen die Namen gaben. Die Welt ordneten.
Jaakko, die Brüder Pesälä. Simo. Und Ari.
Wer sollte in einer namenlosen Welt einen verteidigen, der ganz alleine ist? Wenn nicht die Kameraden. In der Welt eines kleinen Jungen.
Wenn man das einzige Kind ist, wenn man keinen großen Bruder hat. In den Knochen und im Mark die Angst, die großen Jungen, all die Klapse, Drohungen, die Demütigungen, all die Erniedrigungen und geschluckten Tränen.
Zuerst ist man kleiner, dann ein bisschen größer.
Ari war nicht mehr der kleinste. Simo war es nun. Einzelkind, so wie er auch.
Was reizte einen so an ihm? Er war ... klein. Auf ärgerliche Weise ein bisschen kleiner als die anderen. Trotzdem vorlaut, geschwätzig. Ein kleines Großmaul, war es das? Und abstehende Ohren hatte er wohl. Wahrscheinlich noch etwas, das die anderen reizte, das Gesicht irgendwie ...
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