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Bonbontag

Bonbontag

Titel: Bonbontag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Nummi
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Recherche in der Klientendatenbank vornehmen.
    Der Anrufer sagt, er sei an der Wohnungstür des Mädchens gewesen und habe Stimmen gehört, die er als Hilferufe gedeutet habe. Außerdem erklärt der Anrufer, die Mutter des Mädchens sei die Rote Kobrahexe und »tue böse Dinge«.
    Der Anrufer scheint ein Kind zu sein, will aber weder seinen Namen noch seine Adresse nennen. Als Name gibt er Dock Killmoh (?) an. Wie der Name geschrieben wird, ist unklar, und der Anrufer will oder kann ihn nicht buchstabieren, obwohl er darum gebeten wird.
    Der Anrufer wird außerdem gebeten, den Nachnamen des Mädchens zu ermitteln. Auf diese Bitte reagiert er zunächst ablehnend. Er spricht etwas wirr von einem gefährlichen Weg und von »Orks«, verspricht aber dann doch, sich darum zu kümmern. Offenbar hat er vor, den Namen an der Wohnungstür abzulesen.
    Der Junge verspricht, den Namen zu melden, sobald er ihn ermittelt hat, doch ein weiterer Anruf ist nicht erfolgt. (Zeitpunkt dieses Protokolls: ca. eine Stunde nach dem ersten Anruf.)
     
    MASSNAHMEN:
    Abgleich mit dem Jugendamt der betreffenden Gegend, ob dort Meldungen in derselben Sachen eingegangen sind.
     
    Möglicherweise handelt es sich bei dem Anruf um einen Scherz.
     
    EMPFÄNGER DER MELDUNG: Mari Silander, Allgemeiner Sozialer Dienst
9
    In Finnland gibt es eine Gemeinde, die in diesem Jahrtausend zuverlässige Zuzugsgewinne verzeichnen kann. Es handelt sich um eine vitale Kleinstadt, die nachhaltig wächst.
    Es ist die Stadt der Kinder. Aber nicht irgendwelcher Kinder.
    Es ist die Stadt der Kinderklienten. Eine imaginäre Stadt, deren Einwohner allesamt Klienten in Sachen Kindeswohlgefährdung sind.
    Mit ›Kind‹ ist ein Mensch im Alter von 0-17 Jahren gemeint. Die Null muss dabei sein, weil die Klientenschaft beziehungsweise Einwohnerschaft sehr früh beginnen kann.
    Worin besteht das Geheimnis des Wachstums? Neue Einwohner kommen in regelmäßigen Abständen hinzu, aber kaum jemand zieht weg. Breiter Eingang, schmaler Ausgang.
    Von diesen Kindern sind laut Statistik des Vorjahres ungefähr 16   000 außerhalb ihrer Familie untergebracht. Inobhutnahmen oder Unterbringungen wegen akuter Gefährdung hat es 11   000 gegeben. Rechnet man diejenigen aus dem ambulanten Fürsorgebereich hinzu, kommt man auf eine Zahl von 70   000. Das sind fast sieben Prozent aller Minderjährigen.
     
    Noch mal ein Stück zurück. Wäre es besser, »über 16000« statt »ungefähr 16000« zu sagen?, fragte sich Katri. Das klingt nach mehr.
    Müsste man die Zahlen in Relation setzen? Ist das viel, ist das wenig? Zumindest die skandinavischen Länder könnte man zum Vergleich heranziehen: vermutlich guter skandinavischer Durchschnitt.
    Unten hörte man helle Stimmen, einzelne Wörter waren nicht zu verstehen. Katri sah auf die Uhr. Keine Haarspalterei, weiter.
     
    Handelt es sich hierbei um Armut? Um die Anhäufung von Schwierigkeiten, Unglücksfällen und Katastrophen? Ja und nein.
    Die sozioökonomischen Umstände wirken sich auf die Bedingungen der Elternschaft aus. In den Klientenfamilien des Bereichs Kindeswohlgefährdung sind Arbeitslosigkeit, Armut, fehlende Schulbildung und Suchtproblematik überrepräsentiert. Eine Klientenfamilie in Sachen Kindeswohlgefährdung wohnt mit höherer Wahrscheinlichkeit in diesem und nicht in jenem Stadtteil. Gut möglich, dass sie Sozialhilfe bezieht. Mit höherer Wahrscheinlichkeit als der landesweite Durchschnitt gehören Klienteneltern der Kindeswohlgefährdung zu denjenigen, die als Kinder selbst Klienten der Kindeswohlgefährdung gewesen sind.
    Die Beseitigung der Armut wäre mit Sicherheit hilfreich.
    Aber Armut allein macht aus keinem eine schlechte Mutter oder einen schlechten Vater. Auch dort, wo das Geld knapp ist, werden Kinder oft zärtlich geliebt und gut erzogen. Sollte man sich darüber wundern?
    Sollte man sich nicht eher über das Kind wundern, das in einem Palast mit Meerblick sich selbst überlassen ist? Über die Mutter und den Vater dieses Kindes?
    Oder über die Haltung, dass bei durchschnittlicher Mittelständigkeit eigentlich alles bestens sein müsste? Dennoch geht zwischen all dem Guten und Süßen eine Frage unter: Warum haben wir uns dieses Kind angeschafft? Wir haben doch auch so genug zu tun.
    Leicht denkt man: So ist das nun mal, es kann nicht allen gutgehen. Seien wir dankbar, dass andere Leute das Schlechtgehen übernehmen. Andere Leute mit anderen Kindern.
     
    Den letzten Absatz strich Katri durch.
    Ein

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