Bonbontag
nicht, wohin, weil der Flur in zwei Richtungen ging. Er machte einen Schritt nach rechts, blieb aber stehen, als er die an die Tür geklebten Zeichnungen sah, das Pferdeposter und den mit der Kinderhandschrift von vor einigen Jahren geschriebenen Zettel »EINTRITT VERBOTEN«.
Ari deutete nach links, als der Junge sich ohnehin schon umdrehte, an der Wand entlangging und ins Wohnzimmereinbog. Auf dem Rücken seines Kapuzenpullis stand »The Best«.
Der Junge sah sich das Bücherregal an. Bewundernd, stellte Ari sich vor. Er betrachtete die geerbten Möbelstücke, den prächtigen Geschirrschrank von der Großmutter. Wunderte er sich? Oder guckte er nur?
»Also, willst du etwas trinken?«
Der Junge hob die Schultern, erinnerte sich aber dann: »Kann ich ein Glas Wasser haben?«
Ari bedeutete ihm, sich auf die Couch zu setzen. Er selbst ging in die Küche und ließ Wasser laufen. Es dauerte, bis es abkühlte. Dabei wurde Ari bewusst, dass im Wohnzimmer ein kleiner Junge saß, über den er nichts wusste. In seiner Reichweite alle möglichen Wertgegenstände, Filme ... Er hielt das Glas unter den Hahn und eilte ins Wohnzimmer.
Der Junge saß nicht mehr auf der Couch.
Wie kann es sein, dass man einen Menschen in einem Zimmer nicht bemerkt, auch wenn er noch so klein ist?
Aber da stand er ja, der Junge, am Fenster, nicht zu übersehen, und schaute hinaus. Ohne sich zu rühren.
Er trat näher. Wo schaute der Junge hin? Vielleicht auf die Häuser weiter hinten. Auf die Lichter in den Fenstern?
Ari räusperte sich. Der Junge schreckte zusammen, drehte sich um.
Ari reichte ihm das Glas.
»Danke«, sagte der Junge. Er nahm einen Schluck Wasser, das bestenfalls lauwarm war.
»Ich weiß nicht, ob es kalt genug ist«, sagte Ari.
»Doch, doch«, sagte der Junge. »Sehr gut.«
Er war zur Höflichkeit erzogen worden, dachte Ari. Oder war er es womöglich von Natur aus? Ein kleiner Junge, aber wusste lauwarmes Wasser kalt zu nennen, wenn die Situation es erforderte.
»Ach ja ...«, fing der Junge an. »Ich glaub, ich hab’s schon gesagt ... könnte ich mal ... aufs Klo?«
Kleiner Junge, große Not, würde Ari in seinem Roman schreiben.
4
Der Doc setzt den Laser ein.
Klick. Bild eins. Klick. Bild zwei.
Zessi Bella Mirabella.
Mira ... dunkel.
Aber bei der Kobra Licht. Pah. Klar. Die alte Kobra ist daheim. Warum auch nicht.
Muss man warten bis morgen.
Die Orks sind da. Gibt auf die Schnauze, wenn ich rübergeh.
Bräuchte einen Helfer.
Mad Max, der total Verrückte ... Ist er verrückt genug?
5
Bis zum Dienstbeginn war noch reichlich Zeit.
Katri zog sich in einen freien Büroraum gleich neben der Eingangshalle zurück. Den Artikel über die Geschichte der Kindheit hatte sie gefunden, aber sie las zunächst noch einmal ihren eigenen Text. Sie suchte die Stelle, die sie beim letzten Mal gestört hatte.
Es ist peinlich zuzugeben, dass ich Angst hatte zu fragen: Wie geht es dem Jungen, den ich euch gebracht habe?
Katri strich die Zeilen: keine Peinlichkeit, keine Angst. Es handelt sich schließlich um eine Vorlesung und nicht um eine Bekenntnisveranstaltung.
In der Eingangshalle wurde laut diskutiert. Die Bürotür stand einen Spaltbreit offen, und Katri hörte, wie der Pförtner versuchte, mit einem dunkelhäutigen alten Mann zu reden. Die beiden fanden keine gemeinsame Sprache, weshalb Keijo, der Pförtner, den nichts aus der Ruhe brachte, jetzt die Gesten des Mannes zu deuten versuchte.
»Aha, das Portemonnaie haben sie Ihnen gestohlen ... die Gauner. Ja, ja, und damit sind dann auch die Fahrscheine und so weiter weg. Haben Sie sonst keine Papiere? Paper ?«
Der alte Mann war groß und schmal, mit spitz zulaufendem Bart und spitzer Nase. Die offenbar neulich erst in Gebrauch genommene Steppjacke passte schlecht zur übrigen Erscheinung. Katri tippte auf ein Herkunftsland in Ostafrika. In der Jackentasche fand der Mann eine Fotokopie mit den Essenszeiten der Flüchtlingsaufnahmestelle in Mittelfinnland. Jemand von der Tagschicht übernahm den Fall.
Das Aufeinandertreffen der Kulturen – darüber müsste sie in der Vorlesung etwas sagen, das hatte sie bislang völlig ausgespart. Manche Menschen steigen aus dem Flugzeug wie aus einer Zeitmaschine. Als kämen sie aus unserer eigenen Vergangenheit, aus einer Vergangenheit, die hundert oder hundertfünfzig Jahre zurückliegt, aus einer Zeit mit vollkommen anderen Sitten.
Das könnte man an den historischen Abschnitt anhängen. Oder vielleicht damit
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