Bonbontag
schick ihr eine SMS.«
»Hab ich schon.«
»Darf ich fragen, was du ihr geschrieben hast?«
»Dass alles okay ist.«
Ari glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.
»Alles okay?«
Der Junge nickte schwach.
»Also Mama und Papa sind dir nicht wirklich abhandengekommen? Ja?«
Langsam kam der Junge zwischen seinen Händen wieder zum Vorschein. Den Blick hielt er weiterhin gesenkt, wich Aris Augen aus. Murmelte, er habe aus Versehen ein bisschen geschwindelt.
»Du weißt also, wo du wohnst?«, fuhr Ari an seiner Stelle fort.
»Ich hab mich nicht verirrt, oder so ... ich kann bloß nicht nach Hause gehen.«
»Warum nicht?«
»Ich trau mich nicht«, sagte der Junge. Es klang aufrichtig.
»Warum traust du dich nicht?«
»Oder ich würd mich schon trauen, aber ich kann nicht.«
»Warum kannst du nicht nach Hause gehen?«
»Weil Mama und A. P. ... die sind jetzt nicht da, die sind im Kino«, sagte der Junge. Sein Gesicht hellte sich auf, als ihm einfiel, was er sagen musste: »Und ich hab keinen Schlüssel.«
Für eine Weile war Ari sprachlos. Die ganze Geschichte drohte ihm wieder zu entgleiten. Dann blickte er auf den Tisch und auf die Schlüssel, die zwischen Taschentuch und Kaugummis auf dem Boden lagen. Auch der Junge schaute hin.
Ari hob die Schlüssel auf, empfand einen kindlichen Triumph.
»Und was ist das?«
»Ich glaub, ich hab wieder geschwindelt«, sagte der Junge und sah Ari aus geduckter Haltung heraus an. »Ich dürfte nicht so viel schwindeln, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Vielleicht ist es doch so, dass ich mehr so Angst hab und mich nicht traue ... hinzugehen ... weil sie nicht daheim sind«, sagte der Junge, hob den Kopf und grinste, offenbar amüsierte ihn seine eigene Erklärung.
Ari blickte auf die Uhr. Dann sprang er nervös auf.
Der Junge gab ein gedämpftes Stöhnen von sich, kauerte sich auf dem Fußboden zusammen und hob die Hände zum Schutz.
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Ari verdutzt.
Der Junge sah ihn ängstlich an, dann rappelte er sich auf und setzte sich wieder auf die Couch.
»Ich hab gedacht, du bist wütend geworden«, sagte er geniert.
Der Junge hat geglaubt, ich schlage zu, begriff Ari.
Der Junge ist schon mal geschlagen worden.
Der Junge ist es gewohnt, geschlagen zu werden, war sich Ari plötzlich sicher.
Er wurde wütend und schämte sich.
»Wann kommen dein Vater und deine Mutter noch mal zurück?«
»Übermorgen.« Die Antwort kam schnell. Zu schnell, der Junge schien selbst zu merken, wie sonderbar das klang.
»Übermorgen aus dem Kino?«
»Nein ... die müssen noch wo hin.«
»Haben sie dich alleine zurückgelassen?«
Der Junge wand sich wieder. »Na ja ... also ... Ich hab jemand, der eigentlich auf mich aufpasst, aber der ist krank geworden.«
»Tja«, meinte Ari, »überlegen wir noch mal.«
»Kann ich über Nacht bleiben?«, fragte der Junge.
Ari antwortete nicht. Er sagte, er müsse einige berufliche Telefonate erledigen. Er legte die DVD über Tierkinder ein, die es zum Abspielgerät gratis dazu gegeben hatte, und setzte den Jungen vor den Fernseher.
Ari ging ins Arbeitszimmer, zog die Tür zu und überlegte, was zum Teufel er jetzt tun sollte.
Er öffnete das E-Mail-Programm, löschte mechanisch die Spam-Post, überflog zerstreut seine Mails, zwei Pressemitteilungen, nichts Persönliches. Dann sah er sich auf den Internetseiten der Zeitungen die Nachrichten an. Die Überschriften huschten an seinen Augen vorbei.
Was sollte er tun?
Das Telefon klingelte. Sein Telefon.
Es war seine Mutter.
Ob er gar nicht komme, fing seine Mutter an. Sie hatten doch darüber gesprochen, dass er die Birnen im Kronleuchter auswechselte.
»Aber ich krieg das auch alleine irgendwie hin ...«, gab die Mutter die Märtyrerin. »Bloß ist mir gerade ein bisschen schwindlig, ich kann solche Sachen ja eigentlich nicht mehr so gut ...«
Ari sagte, sie hätten vereinbart, dass er am nächsten Tag komme, heute ginge es nicht.
»Jetzt ist auch noch überraschend Besuch gekommen«, erklärte er. »Aber ich versuche es morgen ... also ich komme. Entweder vor oder nach der Besprechung über das Drehbuch.«
»Was für Besuch?«
Seine Mutter hatte einen untrüglichen Instinkt.
Ari war schon nahe daran, ihr alles zu erzählen, dachteaber im letzten Augenblick, dass er das Chaos dadurch nur noch größer machte.
»Leute, die bei dem Filmprojekt mitmachen.«
»Du bist so begabt«, sagte die Mutter. »Komisch, dass die das nicht verstehen. Auch dein Artikel
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