Bonbontag
packte ihn im Nacken.
»Müsstest du nicht langsam mal zur Arbeit, mein Besserwisser?«
Risto schob die Hand unter ihre Achsel und kitzelte sich frei.
»Wie wäre es, wenn ich hierbleibe ... Das würde in der Firma gar nicht auffallen. Ein Ingenieur mehr oder weniger.«
»Ich kann keine weiteren Sozialfälle gebrauchen«, sagte Katri und zog Risto hoch.
Für einen Augenblick standen sie dicht beieinander, in der Wärme des anderen. Risto wollte wissen, ob Katri das von letzter Nacht, was immer es auch gewesen sei, noch nachhänge. Katri erzählte grob von dem verschwundenen Jungen. Sie sagte, ein Detail sei offengeblieben, und deshalb sei sie aufgewacht. Sie sah auf die Uhr.
»Ich glaube, ich rufe sofort an«, erklärte sie und bückte sich nach dem kleinen Notizbuch in ihrer Handtasche. Da bemerkte sie Ristos überraschten Blick.
»Irgendwie ... wenn ich jetzt nichts unternehme, werde ich es nicht mehr los«, ermunterte sich Katri. »Ich erledige das, bevor die Mädchen wach werden.«
Im Jugendamt West meldete sich eine Helena, die Katri nicht kannte, offenbar hatte sie neu angefangen. Katri musste lange und gründlich erklären, wer sie war und was sie wollte. In den Akten des letzten halben Jahres müsste nach einem sieben- bis zehnjährigen Jungen gesucht werden, der in irgendeiner Form vernachlässig wurde. Und nach Einträgen über Mütter, die Probleme mit ihren gerade schulpflichtig gewordenen Töchtern hatten. Katri hörte, wie Helena beim Versuch, in die Klientendatenbank hineinzukommen, stöhnte.
Sie bedauerte ihre Unerfahrenheit und sagte, Seija, ihre ältere Kollegin, mache gerade einen Hausbesuch. Katri schlug vor, später auf das Thema zurückzukommen. Sie sah Risto in der Diele den Mantel anziehen.
»Ich frage Seija, sobald sie zurückkommt«, versprach Helena. »Hier ist es gerade ein bisschen chaotisch ... Uns ist ein Pädophiler gemeldet worden, und ich überlege ... ich frage mich, wie man da ...«
»Ein Pädophiler?«, fragte Katri zerstreut nach. Sie begriff, dass Helena Rat brauchte. »Das ist eigentlich Sache der Polizei, aber zuerst muss man natürlich genau klären, wie zuverlässig die Meldung ist.«
»Ja ... natürlich«, kam es unsicher zurück.
Katri überlegte kurz, was sie noch aus Helena herausbekommen könnte, gab es dann aber auf und beendete das Gespräch.
»Was für ein Pädophiler?«
Katri fuhr zusammen.
Marja stand mit einem Buch in der Hand an der Küchentür und schaute sie mit verschlafenen Augen an.
»Hat mit der Arbeit zu tun«, sagte Katri schnell.
Risto hüstelte in der Diele, das war ein kleiner Einspruch. Musste sie ihre Arbeit unbedingt mit an den Küchentisch bringen?
»Ich meine ... da gibt es den Verdacht, dass ein Kind schlecht behandelt worden ist. Aber jemand geht hin und sieht nach.«
»Wovon redet ihr?«, fragte Saara schlaftrunken. Sie war gerade erst die Treppe heruntergekommen.
Risto seufzte hörbar.
»Wie wäre es, wenn wir die Schlittschuhe ausprobieren, bevor ihr mit Oma und Opa aufs Land fahrt?«, fragte Katri.
»Ja, das machen wir«, antwortete Saara sofort. Auch Marja machte eine zustimmende Bewegung mit dem Kopf.
»Du holst also die Schlittschuhe ab?«, rief Risto noch zur Erinnerung.
Katri begleitete ihn zur Haustür.
»Sag mir doch noch, du Schlaumeier, was du mich fragen würdest, wenn du einer von den Studenten wärst.«
»Wie halten Sie diesen Job eigentlich aus?«
4
Sie warteten am Straßenrand. Ari hatte darauf geachtet, dass der Junge all seine Sachen mitnahm. In der Hand baumelte die Plastiktüte, der fleckige Kapuzenpulli war unter dem Anorak versteckt. Ari wollte die Geschichte endlich vom Hals haben.
Der Junge begriff das. Er war stumm, in sich verschlossen, zermalmte mit den Füßen die vereisten Klumpen aus Sand und Schnee auf dem Bürgersteig, weder mit Hingabe noch aggressiv, sondern nur weil es sonst nichts zu tun gab.
Sie standen frühzeitig bereit. Mindestens fünfzehn Minuten früher als vereinbart. Das war ein Termin, zu dem man nicht zu spät kommen durfte, dieses quälende Gefühl hatte Ari.
Es war kälter und klarer geworden. Die Sonne kam zwischen den Wolken hervor. Ari spürte die Kälte in den Füßen, er trat von einem Fuß auf den anderen.
»Wir können später ja zusammen nach dem Mädchen schauen ... nach Miranda ... Mirabella ... Zum Beispiel heute Nachmittag. Wenn es deiner Mutter recht ist«, sagte Ari. Dabei spürte er den Stich des schlechten Gewissens. Eine Notlüge. Der Junge
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