Bonbontag
Mutterschaft ein bisschen rund geworden, in einer blassbraunen leichten Steppjacke, lockere, sportliche Hosen, wie zum Nordic Walking. Das Gesicht – vielleicht hatte es etwas von dem Jungen; etwas Kantiges an den Wangen, Trotz, schnell aufgetragenes Make-up. Aus der Nähe betrachtet, verdeckte die Schminke etwas ... irgendwelche Spuren? Der Mann war breitschultrig, kräftig, Jacke offen, darunter ein weinroter Rollkragenpulli, schien nicht zu frieren. Und das Mädchen, das kleine Mädchen, etwa vier Jahre alt, hübsch angezogen, bunte Skijacke, oder was das war.
»Hallo!«, rief das Mädchen und stand auf. »Kommst du auch mit? Dann können wir zusammen planschen gehen!«
Tomi antwortete nicht, niemand antwortete.
Schüchtern begrüßte Tomi seine Mutter, sie nickten einander bloß zu.
»Hallo«, sagte der Mann gebieterisch.
Tomi reagierte nicht.
»Hallo, Tomi«, wiederholte der Mann streng.
»Hallo«, sagte Tomi matt.
Seine Mutter hielt Ari eine Stofftasche hin. Sie tat das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass Ari die Tasche ohne weiteres entgegennahm.
»Da müsste alles drin sein.«
Ari verstand nicht, was sie meinte. Verdutzt schaute er auf seine Hände. In der einen hielt er eine Tüte, in der anderen eine Tasche.
»Entschuldigung, aber ich verstehe nicht ... Was soll ich damit anfangen?«
Jetzt verstand die Frau nicht, was er meinte. Sie sah ihn an wie einen Geistesschwachen. Ari starrte zurück, das Gesicht der Frau war jung und alt zugleich, es war stark geschminkt, das kaschierte die Furchen, die Spuren des Lebens, war das eine Narbe am Haaransatz? In ihrem Gesichtsausdruck lag jedoch etwas Kindliches.
»Da sind Sachen zum Wechseln für Tomi drin«, erklärte die Frau langsam, Wort für Wort. »Du hast am Telefon gesagt, seine Kleider wären schmutzig.«
Der Mann am Auto stieß ein dröhnendes Lachen aus. »Das ist mir einer ... Muss man ihm wieder Windeln anziehen?«
»Windeln? Wem? Tomi? Warum?«, fragte das kleine Mädchen.
»Deinem Bruder ist ein kleines Missgeschick passiert, weißt du«, sagte der Mann zu dem Mädchen, mit gespieltem Flüstern.
»Moment mal ...«, fing Ari an.
»Die Klamotten waren übrigens ganz sauber, als der Junge wegging«, fuhr ihm die Mutter schnippisch über den Mund.
Ari warf einen Blick auf Tomi, der Junge war in sich verschlossen, starrte auf den Asphalt. Ari holte Atem, die Situation geriet allmählich außer Kontrolle.
»Also, ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun.«
Der Mann lachte laut und steckte damit die Frau an.
»Das ist mir ein Witzbold. Dann sag mir doch mal, bei wem Tomi übernachtet hat? Weil sein Papa irgendwo besoffen eingepennt ist.«
»Papi, warum kriegt Tomi Windeln?«, fragte das kleine Mädchen.
»Red also kein Blech«, schnauzte der Mann.
Ari wusste nicht, was er sagen sollte, irgendetwas müssteer sagen, das Durcheinander auflösen. Die Frau kam ihm zuvor, sie wandte sich an Tomi:
»Okay ... jetzt reißt du dich zusammen. Keine Sauerei mehr. Das kriegst du doch hin? Wir telefonieren, wenn was ist, ja?«
Dann winkte sie Ari zu.
»Schönes Wochenende. Und sag Jaska, das ist das letzte Mal gewesen.«
Endlich kamen die Worte, im letzten Moment, die Worte, mit denen Ari alles stoppte.
»Hat jemand den Jungen geschlagen?«
Der Mann lachte jetzt nicht mehr, die Frau war stumm, das kleine Mädchen wollte etwas sagen, ließ es dann aber, verunsichert durch das Schweigen der anderen. Ein Bus rauschte vorbei, störte die Stille.
»Hä?«, machte die Frau.
»Was?«, meinte der Mann.
»Was?«, äffte das Mädchen ihn nach.
»Der Junge ist voller blauer Flecken«, sagte Ari. Sein Zögern kehrte sich in Zorn, er wurde laut. »Jemand hat ihn geschlagen, und ich frage mich, wer wohl.«
»Wer wohl?«, wiederholte das Mädchen.
Jetzt lachte die Frau kurz auf. Ari meinte, eine kleine Unsicherheit herauszuhören.
Der Mann machte einen Schritt auf Ari zu. »Willst du damit sagen, ich hätte Tomi geschlagen?«
Ari trat einen halben Schritt zurück. »Das habe ich nicht gesagt, ich habe nur ...«
»Behauptet der, ich hätte ihn geschlagen?«, schnitt ihm der Mann das Wort ab und wandte sich an Tomi. »Du verlogener kleiner Scheißkerl.«
»Scheißkerl«, wiederholte das Mädchen und lachte hell.
»Tomi hat nichts gesagt«, versuchte Ari dazwischenzugehen.
»Na, dann fragen wir den Tomi doch einfach mal«, sagte der Mann und ging vor dem Jungen in die Hocke. »Also Tomi, habe ich dich je gehauen?«
»Nein ...«,
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