Bonbontag
dann hörte er die Frau etwas zu jemandem neben ihr sagen. Man hörte die Stimme eines Mannes, Flüche.
»Gibt’s da irgendein Problem?«, fragte die Frau, als hätte sie nichts von dem verstanden, was Ari zu erklären versucht hatte.
Ari wunderte sich und berichtete von den Flecken auf den Kleidern des Jungen.
»Wie lautet deine Adresse?«, unterbrach ihn die Frau erneut.
Ari sagte, wo er wohnte.
»Okay, wir kommen hin. Halbe Stunde ... oder ein bisschen mehr«, sagte sie und legte sofort auf.
Ihre Stimme enthielt so viel Wärme wie ein gut funktionierender Eisschrank, würde Ari in seinem Roman schreiben.
3
Plötzlich war sie vollkommen wach. Obwohl sie die halbe Nacht nicht geschlafen, sondern geschrieben hatte. Ärgerlich.
Der Wecker hatte vielleicht zwei Sekunden geläutet, ehe Risto ihn mit einer eleganten Bewegung zum Schweigen gebracht hatte. Er war so leise aufgestanden, wie es nur ging. War aus dem Zimmer geschlichen, hatte die Tür vorsichtig geschlossen.
So viel Mühe sich Risto auch gegeben hatte, Katri war jetzt wach. Das rührte und ärgerte sie zugleich. Diese sorgfältigen, beherrschten Bewegungen, das war typisch Risto. Pedantisch und besorgt.
Anscheinend gehört es dazu, dass man immer irgendwie unzufrieden ist. Dass man sich von den Gewohnheiten der Menschen um einen herum provozieren lässt, insbesondere von den Gewohnheiten, die einen ursprünglich begeistert hatten. Weil sie an diesem erschöpften Morgen da waren, wo es möglich gewesen wäre, noch etwas länger zu schlafen. Aber nein. Zwei Sekunden, ein kleines Aufschrecken – das genügte. Das Band sprang an, der Apparat setzte sich in Bewegung, die Power-Point-Präsentation im Kopf warf Bilder auf die Zudecke, die sie sich über den Kopf zu ziehen versuchte.
Der neue Text, den sie in der Nacht geschrieben hatte. Der unsichtbare Junge am Fenster des Schriftstellers. Ein offener Fall.
»Habe ich dich geweckt?«, fragte Risto mit Bedauern, als Katri in die Küche kam.
»Nein«, sagte sie mit grimmigem Gesicht.
»Du hättest noch ein bisschen länger schlafen sollen«, meinte Risto und lehnte sich zurück, um die Zeitung umzublättern.
»Ich konnte nicht mehr schlafen«, erwiderte Katri und riss zornig die Kühlschranktür auf. Es klimperte, weil die Gläser aneinanderstießen.
Risto legte die Zeitung aus der Hand.
»Ist was?«
Katri nahm den Orangensaft, dahinter stand die Cider-Flasche.
»Gestern Abend ist ein Fall offengeblieben«, antwortete Katri. »Und außerdem geht mir die Vorlesung im Kopf herum.«
»War die nicht längst fertig?«
»Schon, aber ich habe mich gefragt, ob ich nicht lauterSachen erzähle, die eigentlich selbstverständlich sind. In der Nacht habe ich dann angefangen, sie neu zu schreiben.«
»So kriegt man die Nächte auch rum.«
»Ich habe mir überlegt, ob ich von dem ausgehen soll, was ich selbst im Moment denke«, fuhr Katri fort. »Die Frage ist, auf welchem Weg ...«
»Du könntest erzählen, was du zuletzt gemacht hast«, schlug Risto vor.
»Gemacht?«
»Du könntest erzählen, womit du es letzte Nacht zu tun hattest.«
»Das ist ein bisschen problematisch.«
»Und wenn du es andeutest?«
»Es war ein ziemlich undurchsichtiger Fall.«
Katri setzte sich ihrem Mann gegenüber an den Tisch. Er sah sie an. Soll ich weitere Fragen stellen, willst du es mir erzählen?
»Danke für den kalten Cider«, sagte Katri.
»Hoffentlich mache ich dich nicht zur Alkoholikerin.«
»Nun komm schon ... eine halbe Flasche.«
»Nächstes Mal ist es eine dreiviertel Flasche, und Ende des Jahres muss ich den ganzen Kühlschrank vollladen.«
Sie musterten sich gegenseitig. Beide lächelten still in sich hinein. Große Gesten, übertriebene Worte passten nicht an den Küchentisch. Die wurden für die Kinder aufgespart. Man war ja schließlich nicht in einer amerikanischen Fernsehserie.
Wem Zärtlichkeit gegeben ist, der berge sie in seiner Brust, dachte Katri in Abwandlung einer alten Gedichtzeile.
»Gestern Abend hat mich ein Typ gefragt, wie ich meine Arbeit aushalte.«
»Und was hast du gesagt?«
»Dass Kinder nicht endlos weinen können.«
»Das war deine Antwort?«
»Nicht besonders gut.«
»Was wäre denn besser?«
»Sadismus und Masochismus.«
»Da hättest du doch einen guten Einstieg für deine Vorlesung. Gleich in die Vollen.«
»Müsste ich mir überlegen. Hmm ... eigentlich ist schwarzer Humor die beste Medizin.«
»Na also. Sag es ihnen«, riet Risto.
Katri stand auf und
Weitere Kostenlose Bücher