Bone 01 - Die Kuppel
gesamte Reise haben. Ich werde auf die Jagd gehen müssen und… Ich bitte eine Frau nur ungern um so etwas, aber dabei brauche ich deine Hilfe.« Indrani starrte ihn mit blankem Entsetzen an. Genau das hatte Stolperzunge befürchtet, weil eine Frau nach der Tradition zwar Fleisch schlachten, aber niemals jagen durfte. Trotzdem bohrte er weiter. »Bisher hatten wir großes Glück, dass wir überhaupt etwas zu essen hatten, ganz zu schweigen vom Fleisch, das wir eintauschen konnten. Ohne den Sprecher wären wir bereits vom Hunger geschwächt.« Mit einer unbestimmten Geste deutete er in Richtung Zartling-Wege, wo sie ihre Reise beginnen wollten. »Da draußen kennen wir weder Straßen und Wege noch die Wälder und die darin lebenden Bestien. Wir werden sehr schnell sterben, wenn wir nicht lernen, bei der Jagd zusammenzuarbeiten.« Er fügte nicht hinzu, dass sie wahrscheinlich sowieso sterben würden, lange bevor ihnen das Essen ausging.
»Ich kann dir nicht mit dem… dem Fleisch helfen«, sagte sie mit angewiderter Miene.
»Mir ist natürlich klar, dass es keine Arbeit für Frauen ist«, sagte er geduldig, »aber du musst verstehen, dass …«
»Du bist es, der nichts versteht!«, erwiderte sie und schlug vor ihren untergeschlagenen Beinen mit der Faust auf den Boden. »Sie sehen alles, was ich tue! Alles! Ich darf nicht töten, um zu essen! Dabei dürfen sie mich nicht sehen!«
»Ich fordere dich ja gar nicht dazu auf, Menschen zu töten, Indrani!«
»Ich bin keiner von euch, Stolperzunge«, sagte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Ich bin keine Wilde.«
Schon wieder dieses Wort.
»Was ist mit der Sphäre, die deine Sphäre unter dem Großen Dach gejagt hat, bevor du zu uns gekommen bist?«, fragte er. »Sie hat doch auch versucht, dich zu töten, nicht wahr? War ein Wilder in der anderen Sphäre?«
»Nein, Stolperzunge. Die Person, die mich gejagt hat, war böse , aber ich kann dir versichern, dass sie kein Wilder war.« Sie wandte sich von ihm ab und beschäftigte sich dann mit einem Strick, der für ihren Schlitten gedacht war. Wie immer starrte er nur auf die wunderschöne dunkle Haut über ihren Schultern und den Glanz ihres Haars.
»Damit wäre die Sache entschieden«, sagte sie, ohne seinen Blick zu bemerken, während ihre Finger mit dem Strick spielten. »Du bist für das Töten zuständig, und ich bin die Führerin. Wir brechen morgen auf.«
DIE STILLEN WÄNDE
Stolperzunge hörte ein Geräusch im Erdgeschoss. Er hockte sich neben die Falltür, den Speer erhoben, während Indrani leise im Hintergrund schnarchte. Er witterte Steingesicht, bevor er ihn sah: die Ausdünstungen verrottender Zähne, die die Treppe heraufwehten. Der junge Jäger seufzte erleichtert.
Sein Besucher bedeutete ihm mit einer Geste zu schweigen, bevor er ihn begrüßen konnte.
»Es ist nur noch ein Zehntel der Nacht bis zur Dämmerung«, flüsterte der Mann mit üblem Atem neben Stolperzunges Ohr. Indrani schlief ungestört weiter. »Sie wissen jetzt, wo du bist. Sie wissen, dass du einen eigenen Sprecher hast; die Krallenleute, mit denen du gehandelt hast, haben es Wandbrecher gegenüber angedeutet.« Steingesicht bemühte sich zu grinsen, aber mit seinem traurigen, verschmutzten Gesicht gelang es ihm nicht recht. »Ich kann dir sagen, dass dein Bruder sehr überrascht war, dass du noch am Leben bist! Fallensteller sagte, du hättest nach deiner Begegnung mit diesen Langzungen halbtot ausgesehen, als du ihn gewarnt hast. Er war sehr dankbar für deinen Rat. Er sagte, ein paar Jäger hätten dir ihr Leben zu verdanken, aber er sagte auch, dass du jetzt für sie gestorben bist.«
»Steingesicht, was hat …?« Er spürte, dass er stotterte, aber die Magie des Sprechers glättete jeden Fehler. »Was hat Wandbrecher gesagt, als die Krallenleute ihm erzählten, dass ich lebe?«
»Der Häuptling? Ach, er hat nur mit den Schultern gezuckt. Sonst nichts. Doch Runzelstirns Frau…« Steingesicht hielt inne und blinzelte. »Seine Frau sagte, sie hätte noch nie jemanden gesehen, der gleichzeitig so traurig und so erleichtert gewirkt hat. Aber nachdem er jetzt weiß, dass du einen so wertvollen Gegenstand besitzt …«
Stolperzunge fluchte. Sie hatten noch viel zu tun, bevor sie ihr Versteck verlassen konnten. Getrocknete und gesalzene Fleischstücke hingen in den Hinterzimmern des Hauses. Alle mussten noch auf den Schlitten verladen werden. Wenigstens würde es nicht lange dauern, seine Ausrüstung zu
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