Bone 01 - Die Kuppel
Außerdem gab es hier zusätzliche Mauern, die nicht nur das Gebäude, sondern auch große leere Flächen umschlossen.
»Dort haben die Leute früher Dinge wachsen lassen«, erklärte Indrani, als er sie danach fragte. »Dinge wie Moos und Bäume.«
»Leute?«, fragte Stolperzunge. »Du meinst bestimmt Bestien.«
Ihre Stimme krächzte. »Ich meine Leute. Menschen. Hier lebten die Deserteure, noch bevor die Bestien kamen.«
»Deserteure«, wiederholte er. Aus ihrem Mund klang das Wort wie die schlimmste Beleidigung – als würde ein Mann des Stammes von »Verschwendern« oder »Hortern« sprechen.
»Wer waren sie?« Es erstaunte ihn, dass er noch nie von anderen Menschen gehört hatte, die nicht weit von seiner Heimat entfernt gelebt hatten.
»Ich brauche Wasser«, sagte Indrani. Sie blickte ihm nicht in die Augen, während sie trank, und wischte sich anschließend langsam die Lippen ab.
»Willst du meine Frage nicht beantworten, Indrani?«
»Hier können wir nicht bleiben«, sagte sie.
»Indrani!«
»Ach, Stolperzunge, warum interessiert es dich plötzlich so sehr? Das war vor sehr langer Zeit, lange vor deiner Zeit. Die Deserteure waren… einfach nur habgierige Leute, die bekamen, was sie verdienten. Können wir jetzt bitte weitergehen? Diese Umgebung gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Klar«, sagte er. »Klar.«
Trotzdem kamen sie nur langsam voran. Alle paar hundert Herzschläge mussten sie anhalten, damit Indrani sich ausruhen konnte. Sie atmete viel zu schnell, und ihr Gesicht glänzte vor Schweiß.
»Ich glaube nicht, dass wir diesen Bereich vor Anbruch der Dunkelheit hinter uns gelassen haben«, sagte er. »Wir sollten uns ein anderes Haus suchen. Solange wir uns leise verhalten, werden wir keine Schwierigkeiten mit den neuen Bewohnern haben.«
»Nein!«, sagte Indrani. »Ich kann schon die letzten Türme sehen. Ich werde nicht noch einmal ein Gebäude betreten, in dem diese Bestien wohnen!«
Stolperzunge konnte sie gut verstehen. Beim letzten Mal hatten sie sehr viel Glück gehabt, und bei der Vorstellung, noch eine solche Nacht durchstehen zu müssen, drehte sich ihm der Magen um. Ihm ging es nur darum, nicht mehr auf der Straße zu sein, wenn es Nacht wurde und sich sämtliche Langzungen in der Umgebung auf die Suche nach ihrem Abendessen machten.
Als sie sich bis zum Fuß der letzten Türme geschleppt hatten, blieb ihnen noch ein ganzes Zehntel Tageslicht. Dort stießen sie auf ein großes Geflecht aus Moos, das ihnen den Durchgang versperrte.
»Seltsam«, sagte Stolperzunge. »Ich hätte gedacht, Langzungen müssten daran interessiert sein, dass andere Wesen in ihr Revier kommen.«
Indrani nickte. Sie war zu erschöpft zum Sprechen. Sie beobachtete, wie Stolperzunge mit einem Stück blutgetränkter Haut einen Durchgang im Moos öffnete.
Dahinter führte ein Sandweg zu einem Feuchtpfad mit einer Brücke, die aus Stein gemacht war. Auf der anderen Seite wurde der Weg zu einer Straße, an der keine Häuser standen und die schnurstracks auf ein riesiges Gebäude am Horizont zuführte. Es wirkte so groß, als könnte ganz Menschen-Wege in das gigantische, stachlige Monstrum passen. Tausende flacher Hügel breiteten sich auf der Fläche davor aus, als hätte ein Riese alle anderen Häuser in der Umgebung plattgetreten und sie mit dichter Vegetation und verrottenden Baumstämmen übersät.
Indrani warf einen Blick auf diese Szene und machte den Eindruck, als wolle sie sich nach Langzungen-Wege zurückflüchten und eine der Bestien bitten, sie über Nacht aufzunehmen.
»Wir bleiben auf dieser Seite des Feuchtpfades«, sagte sie zitternd. »Wir ziehen parallel zum Langzungen-Bereich weiter, bis wir den Fluss gefunden haben.«
Stolperzunge sah keinen Grund, ihr zu widersprechen, zumal es auf der anderen Seite kaum Deckung gab. Also drangen sie in ein kleines Waldstück neben dem Feuchtpfad ein, wo an der Spitze jedes Blatts Dachschweiß hing. Indrani warf sich auf ein grünes Bett aus Moos und war sofort eingeschlafen.
Der junge Jäger nahm sich einen Moment, um ihre Schönheit zu bewundern. Sie war so entzückend, dachte er, wie sie sich zusammengerollt hatte, die Hände vor dem Gesicht zu kleinen Fäusten geballt. Sie war vom Großen Dach gefallen, aus dem Land der Geister und Wunder, aus dem Land der Abenteuer, die selbst jene des Reisenden in den Schatten stellten. Wie blass ihr diese Welt vorkommen musste. Kein Wunder, dass sie sich manchmal der Verbitterung hingab.
Er wandte seine
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