Bone 01 - Die Kuppel
aber es fühlte sich nicht wie harte Arbeit an. Sein junger Körper genoss glücklich die Anstrengung.
Wir sind hier Fremde , dachte er. Hinter der nächsten Biegung musste sich eine völlig neue Welt verbergen, mit Straßen, die er noch nie gesehen hatte, und unvorstellbar fremdartigen Wesen, die sich von exotischem Fleisch ernährten. Wie viele Reviere mochten zwischen hier und dem Dach liegen? Wie viele Völker? Eigentlich hätten ihm diese Gedanken Angst machen müssen, aber stattdessen verspürte er Aufregung, die mit jedem Stoß größer wurde.
Die Bäume am Ufer waren bald wieder von Fäulnis befallen, und mit ihnen starb auch seine gute Laune. Die natürliche Vegetation wurde durch Felder mit gepflanzten Körpern ersetzt, die sich endlos auf beiden Seiten des Feuchtpfades entlangzogen. Hier sah er keine gefangenen Menschen, aber es gab viele Langzungen und sogar Köpfe von Panzerrücken, die tief in den Boden eingegraben waren. Der Sprecher gab einen Chor aus Schreien und Stöhnen wieder.
»Können wir das Ding nicht abstellen?«, fragte er Indrani.
Sie schüttelte den Kopf und sah elend aus. Es stank nach Körperausscheidungen und Verwesung, viel schlimmer als an den Latrinengruben in Menschen-Wege, viel schlimmer als alles, das Stolperzunges Nase in seinem ganzen Leben wahrgenommen hatte. Steingesicht wachte auf und schnappte nach Luft.
»Bei den Vorfahren, was ist das für ein Gestank?«
Er war so stark, dass allen die Augen tränten. Stolperzunge wischte sich mit dem Unterarm über das Gesicht und versuchte, den Anblick so leidenschaftslos wie Wandbrecher zu mustern.
Die meisten Körper hingen teilnahmslos in den Löchern, aber manche wedelten mit Armen, Tentakeln oder sogar Flossen, während sie ihren nicht enden wollenden Schmerz hinausschrien. Alle schienen in gleichmäßigem Abstand angeordnet zu sein, vom Nachbarn durch eine Armlänge getrennt. In den Zwischenräumen wuchs nichts – nicht der winzigste Schössling oder der kleinste Fetzen Moos.
»Willst du dir alle ansehen?«, keuchte Steingesicht. »Vielleicht sollten wir ein paar töten, was? Selbst die Panzerrücken sind nicht so grausam.«
»Ich hätte nie gedacht, dass es sich so schnell ausbreitet«, sagte Indrani. »Das war nicht unsere Absicht. Ein bisschen Aufregung, haben wir gedacht. Mehr nicht. Wir wussten, dass wir sie unter Kontrolle halten können, wenn es sein muss.«
Stolperzunge hatte es schon vor einiger Zeit aufgegeben, ihr allzu genaue Fragen zu stellen, und reagierte sehr überrascht auf diese Eröffnung.
»Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum meine Leute nicht gekommen sind, um mich zu retten«, fuhr sie fort. »Aber wenn das der Grund ist, kann ich nicht behaupten, ich hätte es nicht verdient.«
»Was hast du getan?«, fragte er.
»Ihr habt nicht die Worte, um es zu verstehen.«
»Wir haben den Sprecher …«
»Ach ja! Der Sprecher. Das größte Wunderwerk unseres Stammes! Kannst du dir vorstellen, Stolperzunge, dass wir Dinge aus Metall haben, die so klein sind, dass du sie immer noch nicht sehen könntest, wenn man sie auf das Hundertfache vergrößern würde? Dinge, die in unseren Körpern schwimmen, damit wir gesund bleiben. Es gibt Dinge aus Metall – Maschinen sollte ich dazu sagen – , die das Große Dach selbst gebaut hat, und wir mussten ihnen nur den Befehl geben, mit ihrer Arbeit anzufangen. Manche von ihnen können Leben erschaffen. Sie können unseren Körper umbauen, damit wir an ganz anderen Orten oder auf ganz andere Weise leben können. Wir können sogar auf die Weise sterben, die uns am liebsten ist. Stolperzunge, mein Stamm hat Maschinen für alles. Alles! Und von allen muss nur der Sprecher so groß sein.«
Das Floß trieb an einem Feld mit Wesen vorbei, die wie behaarte Menschen aussahen, mit krummen Hörnern auf den Köpfen und Augen, die im verblassenden Licht grün leuchteten. Es war schon eine Weile her, seit sie Bewegungen im Wasser entdeckt hatten. Stolperzunge machte sich zunehmend Sorgen, weil sie einen Platz brauchten, wo sie anlegen und übernachten konnten, aber ihm war klar, dass Indrani niemals einverstanden wäre, dass sie in der Nähe der Wühler ihr Lager aufschlugen.
Um sich abzulenken – um sie alle abzulenken –, fragte er: »Warum muss der Sprecher dann so groß sein? Ist die Veränderung von Worten so viel schwieriger als die Erschaffung einer Welt?«
»Oh nein«, sagte sie. »Die Veränderung von Worten ist gar nicht so schwer. Eine bestimmte Lautfolge
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