Bonita Avenue (German Edition)
kündigen dürfen. Mit solchen Trivialitäten hatte sie ihn überflutet, damit schon. Na. So toll sie das Ekel auch gefunden haben mochte, das Jahr 1989 musste schlecht geendet haben.
Er fragte: «Wodurch ging es schief?»
Joni antwortete nicht. Dann sagte sie: «Wir müssen schlafen, Mann.» Sie tastete unter ihr Kopfkissen und holte ihre Schlafmaske hervor.
«Wodurch ging es schief. Na los, sag schon.»
«Ging es schief? Ja, es ging schief.» Sie legte das Teil wieder hin und atmete langsam aus. «Zu Hause, eigentlich. Es passierte alles in unmittelbarer Nähe, mehr oder weniger vor Papas Augen, und dann war das Maß voll. Nach elf Monaten hatte Siem es gründlich satt. Wilbert musste verschwinden, der faule Apfel musste weg, und zwar schnell, ehe sich die beiden an die Kehle gingen. Es hing schon eine Weile in der Luft. Und wer der Sündenbock war, stand fest.»
«Von einem Sündenbock spricht man, wenn jemand unschuldig ist.» Er schob eine Hand zwischen die Decke und ihren Bauch, spürte, wie sie ihn einzog. Mit einem Seufzer knipste er die Nachttischlampe aus.
«Ich bekam damals Nachhilfe in Französisch», sagte sie, «von einer Frau, einer erwachsenen Frau, wie ich damals fand, aber tatsächlich war sie noch jung, etwa so alt wie ich heute, gerade fertig mit ihrem Studium, das sie mit Auszeichnung in Utrecht abgeschlossen hatte, mit einer Arbeit über … hm, wie hieß sie noch, die Lebensgefährtin von Sartre?»
«De Beauvoir.»
«Genau, die. Mist, jetzt fällt mir der Name der Nachhilfelehrerin natürlich auch nicht ein.» Sie dachte nach, irgendwas mit F, meinte sie.
«Spielt es eine Rolle, wie sie hieß?»
«Sie war eine Trulla, eine hübsche Trulla allerdings. Gepflegt, schick, spießig, könnte man sagen, wie eine Gouvernante in einem Film. Vornehme Blässe, Sommersprossen.»
«Du hast also Nachhilfe bekommen», sagte er drängelnd. Bleib beim Thema – doch sie fing an, ihm die schulischen Regeln im Bauernhaus darzulegen. Sobald Janis oder sie in einem Fach drei minus standen, trommelten ihre Eltern einen Nachhilfelehrer herbei. «Leistung ist das geheime Codewort in dieser Familie, auch wenn die beiden das niemals zugeben würden. Wie die Schule abschließen? Ach, die Beste müsse ich nicht werden, aber schön wäre es doch. Sie schickten mich in Berkeley nicht auf irgendeine Privatschule. Berkwood Hedge: kleine Klassen, sehr musisch, Tausende von Dollar Schulgeld. Später in Boston dann die Kids Are People Middle School, eine amerikanische Montessorischule, jedes Jahr eine Shakespeare-Aufführung. Eine drei war im Hause Sigerius ein fettes Mangelhaft.»
«Und gleichzeitig saß im Garten ein jugendlicher Straftäter und frisierte sein Moped», sagte er.
«… Vivianne! Vivianne Hiddink. Meine Eltern standen total auf sie. Sie hatte in Straßburg gewohnt, ein Jahr an der Sorbonne studiert und hier in Twente Veranstaltungen für das Studium generale organisiert. Die Nachhilfestunden hatten kaum angefangen, da hielt mein Vater es für angebracht, sie und ihren Freund einzuladen. In Amerika war Richard Feynman regelmäßig unser Gast, wenn dir der Name etwas sagt, aber gut, die kleine Hiddink hatte auch was, warum nicht.»
«Ja, warum nicht?» Er hatte nicht übel Lust, aus der Haut zu fahren, dieses elitäre Geschwätz, in der Hinsicht hatte sie echt einen an der Waffel. Doch weil er fürchtete, ihren Redefluss zu stoppen, hielt er sich zurück.
«Ihr Freund, Maurice hieß er, hatte in theoretischer Physik promoviert. Anfang dreißig, schwarzes, frischgewaschenes Haar, ein englisches Tweedsakko, Brogues der Marke Van Bommel. Schaute den ganzen Abend entsetzlich dröge durch seine Nickelbrille, und alles, was er sagte, war geistreich. Seitdem bin ich niemandem mehr begegnet, der so vollkommen anders war als Wilbert. Es tat regelrecht weh in den Augen, Wilbert und ihn an einem Tisch zu sehen. Aber man konnte Wilbert schlecht dazu verdonnern, sein Schnitzel in der Küche zu essen, auch wenn Papa das prima gefunden hätte. Ich erinnere mich, dass Wilbert, der sich ansonsten auffällig zurückhielt, von Maurice wissen wollte, was er an seinem ‹Forschungsinstitut› den ganzen Tag so macht. ‹Ich hab dort ein Zimmer›, antwortete der und putzte dabei seine Brille mit einem weichen Tüchlein, ‹und darin steht eine Couch, sonst nichts›, und da liege ich den ganzen Tag und denke nach.» Das muss Wilbert bekannt vorgekommen sein: ein eigener Raum mit nichts als einem Bett zum Draufliegen
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