Bonita Avenue (German Edition)
was?»
«Joni», sagte er plötzlich scharf. «Antworte mir. Hat Wilbert dich … belästigt ? Das würde ich gern wissen. So abwegig ist diese Frage nicht. Der Richter will das demnächst auch wissen. Sei ehrlich, bitte.»
Nein. Das ging nicht. Ich würde ihm nicht von den wenigen Malen erzählen, wo wir samstagsnachts aus der Stadt kamen und uns zusammen auf die Couch setzten, angetrunken, leise miteinander quatschend oder nur alberne Witze machend, und in einem ansonsten schlafenden Bauernhaus durch alle Kanäle zappten. Und dass ich es gewesen war, die ihn in Versuchung führen wollte. Mit vierzehn war ich sehr gut in der Lage, einen Siebzehnjährigen gehörig ins Schwitzen zu bringen, nichts leichter als das, Siebzehnjährige landen selten mitten in der Nacht mit einem Mädchen auf einer Couch, das sich in ihrer hitzigen Gegenwart so wohl fühlt – selbst Wilbert Sigerius nicht. Also zog ich wie beiläufig die Beine an, oder gerade eben nicht, bewegte sie viel zu weit auseinander, während ich lachend erzählte, was dieser oder jener Typ mir kurz zuvor ins Ohr gekeucht hatte, in dem Schuppen, wo Wilbert an der Theke gesessen und beobachtet hatte, was ich so alles auf der Tanzfläche trieb. Oder ich löste seufzend mein Haar, schoss das Gummiband in hohem Bogen in seinen Unterleib und legte mich auf die Couch, die Beine quer über seinem Schoß. Wenn er seine Hände gar nicht oder zu zögerlich auf meine nackten Beine legte, zog ich mich an einem seiner phantastischen Arme hoch und kletterte scheinbar beleidigt auf seinen Schoß, die Knie links und rechts von seinen Oberschenkeln, kniff ihm in die harten Hüften und kitzelte ihn, «du Aas», zischte er, und ich presste meinen Zeigefinger unter sein spärlich stoppelndes Kinn, «schau mich an – was hast du da gesagt, Bürschchen?», wobei wir beide spürten, dass mein frotteebedeckter Schritt gegen den Reißverschluss seiner Jeans drückte, und ich, es tut mir leid, Papa, nur noch an das eine denken konnte.
Aber das war auch schon mehr oder weniger alles.
«Papa, weißt du, was du da tust?», sagte ich so laut, dass der Ober aufschaute. «Deinen Anwalt kannst du meinetwegen selbst anlügen. Erzähl ihnen doch, dass Wilbert dich belästigt hat.»
Seine breite, volle Unterlippe zitterte, als er nickte und aufstand. «Ich bin gleich wieder da», sagte er und schlurfte, seinen schleppenden Gang theatralisch parodierend, zur Herrentoilette hinten im Bistro.
Ich hatte Gänsehaut auf den Beinen. Über riesigen Fensterscheiben, die auf einen Schulhof mit Basketballfeld hinausgingen, befanden sich längliche Kippfenster. Sie waren geöffnet. Nachher, wenn ich die Biege gemacht hätte, würde Wilbert sie mit der langen Aluminiumstange schließen, die ich unter der niedrigen Heizung liegen sah. Was sollte die Dreckschlampe antworten?
Zu meinem Erstaunen begann er selbst zu reden. Er saß wieder zurückgelehnt in seinem Flickensessel, die Hände im Nacken verschränkt, sodass ich den verwaschenen Stoff an seinen Achselhöhlen sehen konnte. Mit seinem gesunden Auge sah er mich konzentriert an und erzählte, er habe damals zehn Monate Jugendarrest bekommen, was ich natürlich schon wusste, und dass man ihn in die Vollzugsanstalt Hunnerberg am Rand von Nijmwegen gebracht habe, auch das wusste ich bereits, und dass er dort inmitten von lauter schwachsinnigen Jüngelchen gelandet sei und mich gehasst habe, immerzu. Letzteres hatte ich nur vermuten können.
«Wenn wir um sieben aus unseren Betten geworfen und unter die Dusche gejagt wurden, dann duschte ich entweder eiskalt oder glühend heiß. Das war die einzige Methode, um fünf Minuten nicht an Rache zu denken, verstehst du. Sobald ich den Wasserhahn zugedreht hatte, dachte ich: Ich hasse sie.»
Er schwieg, zog kräftig die Nase hoch. Ich schlug das eine Bein über das andere, wusste nicht, was ich sagen sollte.
«Ich stellte mir vor, wie ihr im Bauernhaus am Frühstückstisch sitzt. Deine Mutter im Morgenmantel, dein Vater, wie er die Löffel voll Kaffeepulver zählt, Janis und du – verdammt, wie habe ich euch gehasst. Ich war gefährlich.» Er schlürfte Speichel und grinste kopfschüttelnd. «Aber ich hatte einen Kumpel unter all den Schwachsinnigen, verstehst du. Während des Unterrichts, den wir dort bekamen, Umgangsformen, irgendwas von wegen Emotionen, was weiß ich, saß ich neben einem großen blonden Typen. Ronnie, siebzehn Jahre alt, bewaffnete Überfälle. Ronnie Raamsdonk. Er behauptet, ein
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