Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
Vom Netzwerk:
Blass siehst du aus. Zu viel gewichst, oder schläfst du schlecht?
    Als er von seinem Chauffeur später am Nachmittag durch einen Herbststurm nach Utrecht gefahren wird, wo er auf einer Versammlung der landesweiten Studentengewerkschaft sprechen soll, lässt er ihn an einer Autobahnraststätte anhalten. Obwohl er sich vorgenommen hat, den Stalker zu ignorieren, ruft er, vor den Toiletten stehend, seine ehemalige Sekretärin an, zitternd vor Wut und kaum noch in der Lage, ein paar freundliche Worte zu sagen. Wer in letzter Zeit seine Telefonnummer erbeten habe? Nur Journalisten. Sonst keiner? Nein, nicht dass sie wüsste, und außerdem gebe sie keine Telefonnummern heraus, das wisse er doch.
    Er weiß nichts mehr. Am Abend hockt er in seinem möblierten Apartment, und die Wände bewegen sich auf ihn zu. Ein Sturzregen ergießt sich auf die Bürgersteige unten am Hooikade, die Beine an der bullernden Heizung, so schaut er raus. Er sitzt in einem gläsernen Kasten, noch nie war er so sichtbar, so verletzlich. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, er kämpft um das Vertrauen des Parlaments, um das Vertrauen der Presse, der Partei, der Wähler. Der Stalker versteht es, den richtigen Moment abzupassen, das muss er ihm lassen. Im Bett wälzt er sich von einer Seite auf die andere, der Wind pfeift um sein fremdes, unpersönliches Zimmer, er denkt an zu Hause, an Tineke, an ihrer beider Leben, bevor … und auf einmal ist ihm alles klar.
    Wilbert. Wer sonst?
    Gott, hat das gedauert. Wie blind kann man bloß sein? Sein Sohn ist auf freiem Fuß, sein Sohn ruft wegen Joni an. Der einzige Mensch auf Erden, bei dem er noch eine saftige Rechnung offen hat. Er schaltet die Lampe neben seinem Bett ein und schaut sich in dem kleinen Schlafzimmer um. Dass dieser Gedanke ihn beruhigt, lässt sich nicht gerade behaupten. «Dumme Kuh», schimpft er. Kann es sein, dass Joni es ihm gesteckt hat? Wie schrecklich, fürchterlich, unglaublich dumm . Im Zimmer ist es kühl, dennoch läuft ihm der Schweiß von den Schultern.
    Oder hat Wilbert sie vorher bedroht? Wenn er es denn überhaupt ist. Da sitzt er also, mitten in der Nacht. Minutenlang starrt er vor sich hin. Dann nimmt er sein Mobiltelefon, sucht die entsprechende Nummer und ruft an.
    «Wilbert», sagt er nach dem Piepton, «ich weiß, dass du es bist, mein Junge. Offensichtlich bist du wütend. Auch nach zehn Jahren noch. Das respektiere ich. Ich bin auch schon mal wütend. Du solltest dir aber im Klaren darüber sein, dass du mit dem Feuer spielst. Außerdem redest du Unsinn. Du unterstellst alles Mögliche, aber hast du Beweise? Natürlich nicht. Es gibt nichts zu beweisen. Komm zur Ruhe, mein Junge. Ja? Mach was aus deinem Leben.»

15
    Die Träume waren nicht mehr abzuwehren, sie pickten ihn mit scharfen Schnäbeln, und wenn er aus dem Schlaf hochschreckte, landeten die Raben auf den Lampenschirmen und warteten darauf, dass er weiterdöste. Überall fand er sich wieder: im Bett, auf der Couch, am Tisch vor einer kalt gewordenen Pizzaecke, auf die er seine Stoppelwange gebettet hatte, auf der Treppe mit einem Krampf im Fuß.
    Ihm kam es so vor, als würde er nie länger als fünfzehn oder zwanzig Minuten schlafen, doch manchmal war es plötzlich stockfinster rings um ihn herum, oder unerwartet helles Licht stach durch die Ritzen zwischen seinen Vorhängen. Er machte Reisen durch Raum und Zeit, suchte all die Häuser auf, die eine Rolle in seinem Leben gespielt hatten. Oft war er in Venlo bei seinen Eltern, in armseligen Varianten des Reihenhauses, in dem er aufgewachsen war, und immer brauste jemand – meistens sein Vater – auf; dann wieder lebte er mit einer bösartigen oder sterbenskranken Familie Sigerius in dem Zimmerchen bei seiner Großtante in Overvecht, oder er lag auf seinem eigenen Sterbebett, auch das träumte er immer wieder, in einer Kammer des ansonsten verlassenen Bauernhauses. Manchmal pissten seine Meerschweinchen ihn wach, wenn er sie sich in einem anderen Zeitalter auf die Brust gesetzt hatte. Er lauschte verzerrt klingenden Sirenen in der Stadt.
     
    Zweimal bekam er Besuch. Irgendwo auf der Zeitachse schreckte er von einem elektronischen Trommelwirbel aus dem Schlaf, der sich dreimal wiederholte, während er, schluckend und blinzelnd, auf der Couch lag, eine Schüssel mit lauwarmen Spaghetti carbonara auf der Brust. Er ließ sich auf den Boden gleiten und kroch zur Heizung. Im Dämmerlicht sah er zwei Personen, einen Mann und eine Frau. Der Mann steckte in einem

Weitere Kostenlose Bücher