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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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da in der Eiseskälte, dann drehte er sich um. Er nahm die Skier aus dem Schnee, stellte sie auf die struppige Matte in die Waschküche und schloss sorgfältig ab. In der Küche zog er erneut das Fleischmesser aus dem Holzblock. Er ging in den Wintergarten, schaltete aus lauter Gewohnheit das Licht an und löschte es sofort wieder. Den Blick auf den Körper im leuchtenden Schnee gerichtet, ging er, ohne sich zu stoßen, um den länglichen Esstisch herum, drehte übertrieben leise einen Stuhl zur gläsernen Wand und setzte sich, das Messer in der Hand, die Hand auf dem Schoß. Sein Sohn hatte einen hässlichen, kahl werdenden Kopf.
    In den ersten Minuten wusste er nicht so recht, mit welchen Absichten er dort saß. Bewachte er seine Festung? Oder hatte er etwas anderes vor? Während die Minuten verstrichen, fiel ihm auf, dass er nur auf eines achtete: Kondens – im äußersten Lichtschein der Außenlampe sah er Wilberts feuchten Atem in Schwaden aufsteigen. Er zitterte, zog dann den Reißverschluss seiner Skijacke bis über den Adamsapfel hoch. Wie besessen davon, beobachtete er die Atemzüge. Schemenhaft, als wäre es ein Wasserzeichen, bemerkte er sein eigenes Spiegelbild im Glas, eine Kontur, die zehnmal schwächer war als das beleuchtete Gesicht da draußen im Schnee, ein merkwürdig schiefes Gesicht, das zu einem betrunkenen Körper gehörte, der auskühlte, einer medizinischen Versorgung bedurfte.
    Er musste ein Mönch werden. Wie kann man eine unbestimmte Zeit lang gedankenlos, aber andächtig immer auf dasselbe starren? Er presste sein linkes Knie gegen die ausgekühlte Scheibe. Es gab nichts anderes als Kondens, sacht aufsteigende Wölkchen erfüllten sein Bewusstsein. Schalte deine Gedanken aus, nachgedacht hast du genug. Und tatsächlich, es gelang, in seinem Kopf blieb es beispiellos ruhig, keine nicht zu Ende gedachten Überlegungen, keine Grübeleien, nur Gedankensplitter, was du mit fünfzehn Hammerschlägen hinbekommst – sie entwischten ihm, doch er brachte sie in den Wölkchen da draußen zum Schweigen. Nicht ein einziges Mal wandte er seinen Blick ab von dem Vulkan, der weiterhin rauchte, immer wieder diese Ausstöße verwehenden Schwefels – sie hörten nicht auf, flach, unermüdlich. Aber es fror auch weiterhin, Kälte rein, Wärme raus, Kälte rein, Wärme raus …
    Er hob ihn hoch und knuddelte ihn, ein trockenes, furchiges Kinn an seiner verschwitzten Stirn, danach trug der Mann, den er nicht kannte, ihn zum Rand der schwammigen Matte. Er lag auf dem Rücken, tief in der Matte, um ihn herum standen andere Jungs, sie schwiegen, nickten ihm zu, und da war ein magerer blonder Junge, der jämmerlich weinte. Ihm fiel auf, dass sein Gesicht nicht mehr die alte Form hatte, er betastete es, es war geschwollen, lauter warme kleine Tomaten, überall, es fühlte sich heiß und riesig an. «Nicht meine Frau holen», jammerte er. «Doch», sagte Herr Vloet, der, wie er jetzt bemerkte, der älter gewordenen Version eines Nachbarn ähnlich sah, es war ihr bejahrter Nachbar von gegenüber, damals in der Antonius Matthaeuslaan, der da durch den Dōjō ging, und der Dōjō verwandelte sich in sein Zimmer in Zoetermeer, allerdings größer, kahler –
    Ein metallisches Geräusch weckte ihn auf. Wo bin ich? Bis er sein eigenes Spiegelbild entdeckte, taumelte er durch ein pechschwarzes Universum ohne Bezugspunkte. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, das Fleischmesser war zu Boden gefallen. Seine Muskeln fühlten sich in der Kälte hart an, als er es aufhob und mit der Faust umschloss; ängstlich suchte er mit seinen Blicken die Terrasse ab. Sein kurzes Bein kribbelte. Die Nacht war immer noch schwarz, jedoch fahler. Auch das Gesicht war noch da, anscheinend etwas mehr zur Seite gedreht, einen Moment lang dachte er, die Augen seien geöffnet, er rieb sich den restlichen Schlaf aus den eigenen.
    Das Atmen hatte aufgehört.
    Er blieb sitzen. Mindestens noch eine Viertelstunde, so vermutete er, saß er auf dem Stuhl, als wäre er selbst erfroren, reglos starrte er auf den noch regloseren Körper da im Schnee. Nicht zu denken war jetzt unmöglich geworden, jeder Ansatz zu einem Gedanken schlug sofort aus zu einer Girlande aus Triumph und Schuld, er ließ die Verwirrung weiterwuchern, als ob es nicht seine eigene wäre. … Also bist du ein Mörder. Also seid ihr Mörder, alle beide, aber du bist der lebende, der auf der Flucht befindliche, der ungestrafte von euch beiden … Er erhob sich vom Stuhl und

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