Bonita Avenue (German Edition)
geradewegs in Boudewijn Stols Augen. «Ja, Thijmen, immer mit der Ruhe. Verlass dich drauf. Wir kommen. In Ordnung. Wir machen uns gleich auf den Heimweg. Bis dann.»
Er schaltete das Telefon aus und legte es neben seinen Teller.
«Und?», sagte Brigitte. «Das klang nicht sonderlich gut.»
«Nein», erwiderte er. «In Enschede ist etwas Schreckliches passiert. Eine Feuerwerksfabrik ist explodiert. Wir haben es vorhin im Hotel schon im Fernsehen gesehen. Wir kommen von dort, aus Enschede. Ich wohne in der Nähe der Fabrik. Es ist viel schlimmer, als man angenommen hat. Drei Sender berichten pausenlos.»
«Mannomann», sagte Stol.
Gute Analyse, dachte er – Mannomann. «Die Glasschiebetür in meinem Haus ist rausgeflogen», sagte er, «und …»
«Wenn das alles ist», unterbrach Joni ihn. Sie sah ihn nicht an, sondern schnitt mit dem Messer ein Stückchen Kalbswange ab und zog das zarte Fleisch durch die Sauce. Sie spießte noch ein Böhnchen auf und steckte sich die Ladung in den Mund.
«Vorläufig ist das alles, ja», sagte er. «Aber die Straße brennt lichterloh. Der Wind muss sich nur drehen, und schon fängt mein Haus Feuer. Wir müssen zurück. Jetzt.» Er wischte sich den Mund mit der Serviette ab und schob demonstrativ seinen Stuhl nach hinten. Joni schaute immer noch auf ihren Teller und kaute. Angespannt sah er zu, wie sie aß. Es ging hier verdammt noch mal um sein Haus, es gab hier niemanden sonst, der behaupten konnte, dass sein Wohnhaus drauf und dran war, in Flammen aufzugehen. Sie schluckte. Eine goldblonde Strähne fiel ihr ins Gesicht, mit einer ruhigen Handbewegung klemmte sie sie wieder hinters Ohr. Dann, nachdem sie lange genug belauert worden war, legte sie ihr Besteck hin und sah ihn an. «Aaron», sagte sie, «jetzt sei nicht kindisch. Wir sind auf der Hochzeit von einem deiner besten Freunde. Wir können nicht einfach so gehen. Beruhige dich ein bisschen, Liebling.» Sie zwinkerte Stol zu. «Ich glaube, wir können froh sein, dass er keinen Reitstall hat.»
Er atmete tief ein und wieder aus. «Nein, Joni», sagte er, vor aufkommender Wut bebend, «ich hab zwar keine Pferde, aber zwei Kleintiere, wenn du dich erinnerst.»
«Meerschweinchen», sagte Joni.
Brigitte verbarg ein Lachen hinter ihrer Hand.
«Und vierzig Jazz-LP-Erstpressungen von deinem Vater, die noch neben meinem Plattenspieler stehen», fügte er rasch hinzu. «Und einen Laptop. Und eine teure Fotoausrüstung. Und zweitausend Bücher. Vielleicht können wir davon ja so viel wie möglich in Sicherheit bringen? Irgendwas muss man doch tun!»
«Hol schon mal den Wagen», sagte Joni, «ich füll inzwischen einen Eimer mit Wasser aus dem Weiher.»
Gönnerhaft schaltete Stol sich ein. «Ich kann deinen Freund sehr gut verstehen», sagte er. Während ihres Gekabbels hatte er mit seinem Einstecktuch gespielt; entspannt nach hinten gelehnt, hatte er das blutrote Tüchlein wie ein Zauberer aus seiner weißen Brusttasche gezogen, hatte das Seidengewebe über seine linke Handfläche gebreitet und es dann in der Mitte angehoben, als wenn es dreckig wäre. Eine Schüttelbewegung, und er packte es mit der freien Hand an der Unterseite, faltete es ganz vorsichtig zweimal und umklammerte es wie ein kleines Murmeltier. Mit Daumen und Zeigefinger hielt er die Brusttasche auf und ließ, während er Aaron prüfend ansah, das seidene Tierchen hineingleiten. «Sein Instinkt sagt ihm, dass er zur Brandstelle muss. Dort passiert Entscheidendes, und er ist hier. Sein wichtigster Besitz, ein Haus, in dem sich alles befindet, was ihn definiert, steht auf dem Spiel – und das ist nicht nichts, klar.»
Aaron blinzelte mit den Augen. Warum wandte sich das Orakel nicht direkt an ihn? Hatte er den Kerl überhaupt um irgendwas gebeten?
«Wenn du mich fragst», sagte Stol, als könnte er Gedanken lesen, «dann solltest du deine Gefühle einen Moment beiseitelassen und dir überlegen: Worin besteht das Problem in Enschede? Welche Rolle kann Arend bei der Lösung dieses Problems spielen?»
«Ich heiße Aaron.»
«Das solltest du dich fragen. Besser jetzt als später. Du kannst besser hier zu dem Schluss kommen, dass du keinen Beitrag dazu leisten kannst oder gar im Weg stehen würdest, als dort.»
«Wer spricht von ‹im Weg stehen›?»
«Ich», sagte Stol. «Dort brennt es. Es herrscht Einsturzgefahr. Giftige Dämpfe hängen in der Luft. Ein echtes Schreckensszenario. Und das Einzige, was die Profis in einer solchen Situation von den
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