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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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können, Orphan.
Beziehungsweise William.« Der zweite Name kam ihm nur zögerlich über die
Lippen, als wisse er nicht recht, wie man ihn aussprach. Orphan betrachtete
seinen alten Freund, das müde Gesicht, die Furchen, die die Jahrhunderte dort
eingegraben hatten. »William«, flüsterte Orphans Doppelgänger, wie um das Wort
auf der Zunge zu schmecken.
    Â»Deine Mutter wäre so stolz auf dich gewesen …«, sagte Gilgamesch.
    Orphan setzte sich. Der andere in der Nachbarzelle tat es ihm nach.
»Erzähl mir von ihr«, forderte Orphan, was der andere mit gleicher Stimme
wiederholte. »Erzähl mir von Mary.«
    Gilgamesch stieß einen tiefen, wehmütigen Seufzer aus. »In Ordnung«,
willigte er ein.
    Deinen Vater habe ich zuerst kennengelernt (fing Gilgamesch
an). Das habe ich dir nie erzählt. Ich habe dir viele Dinge nicht erzählt. Er
stammte aus Vespuccia, ein stolzer Mann, der zum großen Volk der Sioux gehörte
und eines Tages eine unerklärliche Leidenschaft fürs Meer in sich entdeckte. Er
hieß Kangee, was Rabe bedeutet. Er war nicht
sonderlich groß oder kräftig, bewegte sich aber sehr anmutig, vor allem wenn er
an Bord eines Schiffes war. An Land hingegen wirkte er immer ein bisschen verloren.
    Damals arbeitete ich auf den Docks … rollte Weinfässer, um genau zu
sein. Oft bohrten wir ein kleines Loch ins Fass, um von den exotischen Weinen
zu kosten, natürlich ohne Wissen der Besitzer. Unseren Arbeitgebern war das
egal, die sahen es fast als eine Art Steuer an, die sie zu zahlen hatten. Ich
kannte die Docks gut, wenn auch nicht vom Sehen, und mochte meine Arbeit, weil
ich sie in der Nähe des Meeres ausüben konnte.
    Obwohl ich ein Geschöpf des Bookman war, ließ er mich mehr oder
weniger in Frieden. Zweifellos konnte er mich in meinem Zustand gut gebrauchen
– ein harmloser Blinder, den die meisten gar nicht bemerkten, der jedoch alles
hörte, was auf den Docks vor sich ging. Ab und zu drang er in meine Gedanken
ein, um sich die Informationen zu holen, die ich gesammelt hatte. Wie er sie
sich dann zunutze machte, wusste ich nicht. Die Pläne des Bookman waren immer
komplex und undurchsichtig.
    Es war ein schönes Leben … Kangee lernte ich im Ship’s Bell kennen,
einem Pub, den ich manchmal aufsuchte und in dem es immer hoch herging. Dort
kamen Seeleute aus hundert verschiedenen Häfen zusammen – aus Zululand, China,
der Karibik, aus den großen Hafenstädten Europas und Vespuccias. Hundert
verschiedene Sprachen wurden dort gleichzeitig gesprochen. Ich kann mich noch
an den gewürzten Rum erinnern, den sie da hatten …
    Wie wir Freunde wurden?
    Manchmal gab ich Geschichten zum Besten, wenn man mir dafür einen
Drink spendierte. Er hatte gerade abgemustert, hatte reichlich Geld in der
Tasche und interessierte sich für die Geschichten, die ich über seine Heimat zu
erzählen wusste, ein Land, das sich, wie er sagte, seit meinem Aufenthalt dort
offenbar stark verändert hatte. Geschichte faszinierte ihn – er war ein
stiller, intelligenter Mann, der niemandem etwas zuleide getan hätte. Ich
erzählte ihm meine Geschichten, er spendierte mir Drinks. Dann bekam ich nach
und nach seine eigene Geschichte aus ihm heraus und spendierte ihm ebenfalls
Drinks. Als die Nacht zu Ende ging, waren wir Freunde geworden.
    Natürlich erwähnte ich die Insel mit keinem Wort. Das konnte ich
nicht. Ich wünschte, ich hätte es getan …
    Ich kann mich noch an den Abend erinnern, als er mir deine Mutter
vorstellte. Er hatte sie im Meer entdeckt, auf dem seltsamsten Floß, das er je
gesehen hatte, und als man sie rettete, war sie dem Tode nah. Er hat mir nie
verraten, wo genau sie sie aus dem Meer gefischt hatten oder was für ein Floß
das war, aber ich hatte da so meine Vermutungen. Zumindest später.
    Mary war wunderschön. Anders kann ich sie nicht beschreiben. Wie
Kangee war sie ein stiller Mensch, hatte aber auch – wie er – einen wilden
Charakterzug. Sie war mit Kangees Schiff gekommen und schien wie berauscht von
der Stadt, von dieser Welt, von deren Existenz sie offenbar überhaupt nichts
gewusst hatte. Die zwei waren so glücklich miteinander …
    Natürlich wusste ich damals nicht, dass Mary gesucht wurde. Sie
schien vor den Echsen auf der Hut zu sein, obwohl sie keine Angst vor ihnen
hatte, und ging nie wie die anderen Einwohner der

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