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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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Shakespeare, König Richard II.
    Als Orphan seine Gliedmaßen endlich wieder unter Kontrolle
hatte, hatte sich nichts an der Situation geändert. Er war immer noch
eingesperrt. Die Gestalt in der Nachbarzelle hatte sich nicht ein einziges Mal
gerührt.
    Es war dunkel. Er versuchte, durch Schreien auf sich aufmerksam zu
machen, was er aber bald aufgab, da niemand reagierte. Allmählich wich die
Benommenheit von ihm, obwohl sein Kopf immer noch schmerzte. Er fluchte auf den
Bettler, was aber auch nichts brachte. Wer war das bloß gewesen?
    Er nahm die Taschenflasche in Augenschein, die er aus irgendwelchen
Gründen noch immer bei sich hatte. Sie war leer, roch aber unangenehm. Genau
wie er, musste er sich eingestehen.
    Seine einzige Hoffnung bestand darin, dass Inspektorin Adler von
seiner Verhaftung erfuhr und ihn aufsuchte. Vielleicht ließen ihn die
Polizisten aber auch frei. Jedenfalls musste er sich erst einmal gedulden.
    Â»Hey!«, rief er der Gestalt in der Nachbarzelle zu. »Bist du schon
wach?«
    Keine Reaktion. Nachdem er die Gestalt erneut angerufen hatte, kam
ihm eine Idee. Er fuhr mit der Flasche rasselnd über die Gitterstäbe.
    Der Lärm war so fürchterlich, dass seine Kopfschmerzen noch
schlimmer wurden. Deshalb hörte er damit gleich wieder auf.
    Die Gestalt auf der Pritsche der Nachbarzelle bewegte sich. Unter
der schmutzigen Decke tauchte der obere Teil eines Kopfes auf.
    Â»Tut mir leid«, log Orphan. »Ich wollte dich nicht wach machen.«
    Der andere stierte ihn eine Weile an, um schließlich seinen Kopf
ganz von der Decke zu befreien, sodass das trübe Licht auf sein Gesicht fiel.
»Du!«, sagte er.
    Entsetzt taumelte Orphan zurück und musste sich am Gitter
festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ungläubig starrte er den
anderen an.
    Der sein Gesicht hatte.
    Â»Was …?«, stammelte Orphan. »Wer …?«
    Â»Du!«, wiederholte der andere, stand auf und trat nahe an das Gitter
heran, das sie voneinander trennte. »Du Dreckskerl!«
    Orphan war so schockiert, dass er kein Wort mehr herausbekam. Sein
eigenes Gesicht starrte ihn an. Sein eigener Körper … Er warf einen Blick auf
den Daumen des anderen und stellte fest, dass er unversehrt war.
    Sein eigener Körper. Sein eigenes Gesicht. Und doch irgendwie
anders. Das Gesicht schien von tiefer Müdigkeit geprägt zu sein, alle
Jugendlichkeit war daraus verschwunden. Außerdem überzog es eine dicke
Schmutzschicht, und die Wut in seinen Augen wich allmählich einem leeren,
stumpfen Ausdruck.
    Â»Wer bist du?«, flüsterte Orphan, um seine Frage gleich darauf so
laut zu wiederholen, dass sie von den Wänden widerhallte. »Wer bist du?«
    Â»Ich bin Orphan. Ich bin der Waisenjunge.« Der andere – sein anderes
Ich – setzte sich auf die Pritsche seiner Zelle. Orphan nahm ebenfalls Platz –
sie waren wie Spiegelbilder. »Ich habe keine leibliche Mutter und keinen
leiblichen Vater. Ich bin wie Eva, die aus Adams Rippe geschaffen wurde. Aus
Adams Daumen«, fügte er kichernd hinzu. »Ich bin der Bote. Bin der Text, der
sich zwischen den Buchdeckeln befindet und darauf wartet, zum Leben erweckt zu
werden. Ich bin du. Du hast mich mir gestohlen.«
    Er hörte sich an, als wäre er verrückt.
    Â»Ich verstehe nicht …«, erwiderte Orphan, doch dann fiel ihm ein,
was der Binder, diese seltsame spinnenartige Kreatur, gesagt hatte. »Das wird
ein bisschen wehtun«, hatte er angekündigt und Orphan den Daumen abgehackt, um
ihn nach unten in die Zuchtbottiche bringen zu lassen.
    Ob das funktioniert?, hatte Aramis gefragt. Vielleicht funktioniert
es zumindest eine Zeit lang, war die Antwort des Binders gewesen.
    Â»Er hat eine Kopie von mir gemacht?«
    Der andere brach in triumphierendes Gelächter aus, stand auf und
schlug gegen die Gitterstäbe. Orphan fuhr erschrocken zusammen. »Ich bin der
König von England«, brüllte der andere. »Ich bin zurückgekehrt. Knie nieder!«
    Â»Du weißt also Bescheid?«
    Â»Ich weiß alles!« Der andere Orphan beruhigte sich wieder und kehrte
zu seiner Pritsche zurück. Orphan bemerkte, wie bleich er unter der
Schmutzschicht war. Seine Augen hatten einen müden, verlorenen Ausdruck. »Ich
kann es hören. Es spricht zu mir. Ich kann es nicht zum Schweigen bringen!«
    Â»Was ist dir widerfahren?«, fragte

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