Bookman - Das ewige Empire 1
zugerichteten Echserich, der wie ein weggeworfenes
Spielzeug im Ring lag. Ihm schoss der verrückte Gedanke durch den Kopf, ob der
Echserich wohl auch ein geliebtes Wesen gehabt hatte, das jetzt um ihn
trauerte.
Er wandte sich von Jack ab. Die Luft war so von Rauch und Blutgeruch
geschwängert, dass er es nicht mehr ertragen konnte. Ein Blick in Richtung Tür
verriet ihm, dass Mutter Jolley sie verlassen hatte, um unter ihren Kunden, die
sich in kleinen Gruppen über den Raum verteilt hatten, die Runde zu machen. Der
Schiedsrichter trat in den Ring, um den Sieger zu verkünden. Auch der Mann mit
der blutbefleckten Schürze kam herbei. Ob Goliaths Ãberreste wohl ebenfalls auf
dem Rost landen würden? Das wäre Kannibalismus, dachte Orphan. Er rannte, Leute
beiseiteschubsend, zur Tür und warf sich dagegen. Sie öffnete sich, er stürzte
die Treppe hoch und floh nach drauÃen.
Die kalte Luft belebte ihn wieder. Er ging die Drury Lane
entlang in Richtung Strand. Um ihn herum waberte gespenstisch der Nebel. Der
Himmel schien heller geworden zu sein, was darauf schlieÃen lieÃ, dass die
Sonne langsam, unendlich langsam über der kalten Hauptstadt der Welt aufging.
Er setzte seinen Weg fort, bis er zum Fluss kam, wo er auf der Höhe von
Somerset House und Kingâs College haltmachte. Am Himmel schien sich etwas Dunkles
zu bewegen. Beunruhigt blickte er hoch, weil ihm wieder die schwarzen
Luftschiffe einfielen. Er vermochte jedoch nichts Konkretes zu entdecken,
sodass er den Blick wieder auf das dahinströmende Wasser richtete und
versuchte, seine wirren Gedanken zu ordnen.
Revolution, dachte er. Das war es, was Jack anstrebte, das war sein
Traum, sein Lebensziel. Gegen ihre Oberherren zu kämpfen, die Königin und ihre
Dynastie zu stürzen. Um sie durch wen zu ersetzen? Er dachte an die verwundeten
Vögel im Ring, an die im Licht der Fackeln aufblitzenden Klingen, und kam zu
dem Schluss, dass diese Frage ohne Belang war. Denn wer auch immer über das
Reich herrschte, ob Echse oder Mensch, es wäre jemand, der solchen Kämpfen
kaltblütig zusehen und Wetten abschlieÃen würde. Er dachte an Lord Shakespeare,
den ersten Dichter und Premierminister, den gröÃten von allen. »Was Fliegen
sind den müÃâgen Knaben, das sind wir den Göttern«, flüsterte er in den Nebel.
»Sie töten uns zum Spaàâ¦Â«
Eine feuchte Brise wehte ihm entgegen, sodass ihn fröstelte. Die
Roboter fielen ihm ein. Vielleicht hatten auch sie politische Ambitionen und
trafen sich heimlich, um eine Revolution vorzubereiten. Er fand den Gedanken
weder aufmunternd noch bedrückend, ja, er lieà ihn völlig kalt. Er dachte an
die Revolution, die in Frankreich stattgefunden hatte, die sogenannte Stille
Revolution, über die so wenig bekannt war. Die Franzosen hatten sich der Macht
der Lézards widersetzt â und die Königin schien sich im GroÃen und Ganzen damit
zu begnügen, die neue Republik jenseits des Kanals einfach zu ignorieren.
Zwischen den beiden Staaten herrschte kalter Frieden, obwohl Orphan sich jetzt
fragte, wie lange der wohl andauern würde.
Die Franzosen waren schwierig. Ein Liedchen von Carroll kam ihm in
den Sinn, und er lächelte. »Sie sind die Froschfresser, und wir haben Echsen«,
flüsterte er in den Wind, »wir spielen die erste Geige und sie die zweite.«
Aus dem Nebel kam ein Geräusch, das sich anhörte, als glitte langsam
ein Boot durchs Wasser. Er spähte in den Nebel, konnte jedoch nichts erkennen,
worauf er sich wieder seinen schweifenden Gedanken überlieÃ. In Die geheimnisvolle Insel , einem Buch, das im Empire
verboten war, behauptete der Autor Jules Verne, eine Reise zu Calibans Insel
unternommen zu haben, obwohl Orphan vermutete, dass Verne, der für seine wild
ins Kraut schieÃende Phantasie bekannt war, diese Geschichte lediglich erfunden
hatte. Ich würde gern einmal nach Frankreich fahren, dachte er. In dem Moment
tauchte ein Boot aus dem Nebel auf. Am Bug saà eine einzelne Gestalt, bei deren
Anblick es Orphan den Atem verschlug.
Denn die Person im Boot war Lucy.
Sie trug ein schönes weiÃes Kleid, das mit dem Nebel zu verschmelzen
schien, und saà unnatürlich still da, während das Boot, das von niemandem
gesteuert wurde, dahinglitt und dem Ufer so nahe kam, dass Orphan Lucy fast
hätte berühren können. Fast.
Er wollte ihren Namen rufen,
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