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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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brachte jedoch nur ein heiseres
Flüstern heraus. Sie hatte ihm das Profil zugewandt und blickte starr in den
Nebel, ohne ihm das Gesicht zuzudrehen. Sie ist ein Geist, schoss es ihm durch
den Kopf, während sich dumpfe Angst in ihm ausbreitete.
    Der Nebel verbarg sie wie hinter tanzenden Schleiern. Das Boot
schien langsamer zu fahren, der Fluss langsamer zu fließen. »Lucy!«, schrie er
und hatte den Eindruck, sie würde ganz kurz den Kopf drehen, um ihn anzusehen.
    Dann war sie weg, und das Boot wurde vom Nebel verschluckt,
verschwand wie ein Traumgebilde und ließ nichts als Leere in seinem Kielwasser
zurück.

11
Mycroft
    Â»Sie nehmen zu Recht an, dass er für die
britische Regierung arbeitet.
In gewisser Weise könnte man sogar sagen,
    dass er gelegentlich die britische Regierung
ist.«
    Arthur Conan Doyle, Sein letzter
Auftritt
    Wie ein Betrunkener wankte Orphan davon, während es seine
Hand nach Schreibutensilien verlangte. Das alles schreit geradezu nach einem
Gedicht, überlegte er. Die Frau in Weiß. Ein Kichern entfuhr ihm. Er war zu
müde, zu ausgelaugt, vielleicht hatte er Halluzinationen. Vielleicht hatte
Inspektorin Adler aber auch recht, und der Bookman konnte sowohl Leben geben
als auch Leben nehmen.
    Die Frau im Boot hatte ihn nicht angesehen. Das war das
Ausschlaggebende, war das, was ihn am schmerzlichsten berührte. Weder angesehen
hatte sie ihn noch mit ihm gesprochen – als ob einer von ihnen nicht
existierte, als ob einer ein Geist und der andere aus Fleisch und Blut wäre,
zwei Wesen, die unterschiedlichen Welten angehörten. Er vermochte nicht zu
sagen, ob er ein Geist oder ob er ein Mensch aus Fleisch und Blut war.
    Ich brauche Schlaf, dachte er. Ich brauche eine Tasse Tee, ein Bad
und ein warmes Bett. Vor allem aber Schlaf.
    Doch es sollte nicht sein. Denn als er sich vom Fluss entfernte,
löste sich ein Stück schwarzer Nacht vom Himmel ab und kam lautlos angeschwebt,
bis es sich direkt über ihm befand.
    Orphan blickte nach oben.
    Ein Luftschiff.
    Es war völlig schwarz, ohne Kennzeichnung, ohne Aufschrift auf der
Seite, die verraten hätte, welchem Zweck es diente. Die Positionslichter waren
ausgeschaltet, sodass es wie eine Fledermaus auf nächtlichem Beutefang durch
die Finsternis segelte, unheimlich und drohend.
    Orphans erster Gedanke war: Dann habe ich es mir also nicht
eingebildet.
    Sein zweiter: Dann gibt es sie also wirklich!
    Er war von einem der legendären schwarzen Luftschiffe verfolgt
worden. Was wollen die von mir?, überlegte er, während Panik in ihm aufstieg.
Das musste etwas mit der Regierung zu tun haben. Denn wer sonst verfügte über
Schiffe, die es eigentlich nicht gab?
    Das Luftschiff hatte über ihm haltgemacht. Er konnte die kleine
Gondel erkennen, desgleichen die Ballonhülle. Hatte die Gondel Fenster? Falls
ja, dann waren sie ebenfalls abgedunkelt.
    Seine Panik nahm zu. Da ihn die Erscheinung Lucys erheblich aus dem
Gleichgewicht gebracht hatte, bemerkte er in seiner Benommenheit zu spät, wie
sich zwei dunkle Gestalten von links und rechts auf ihn stürzten und ihn
packten. Obwohl er sich heftig wehrte, wurde ihm ein Sack über den Kopf
gezogen. Er trat um sich und hörte, wie einer der Männer vor Schmerz ächzte.
Dann erhielt er einen Schlag auf den Hinterkopf und sackte seinen Entführern in
die Arme.
    Undeutlich nahm er wahr, dass er getragen wurde. Als er wieder zu
sich kam, saß er in einem weichen, bequemen Sessel, der seinem schmerzenden
Körper ebenso wohltat wie die warme Luft, die ihn umgab. Er hörte das Klirren
von Gläsern und Stimmen, die aber so leise sprachen, dass er nichts verstehen
konnte.
    Der Sack wurde von seinem Kopf gezogen.
    Er blinzelte. Da seine Arme nicht gefesselt waren, griff er sich
vorsichtig an den Hinterkopf. Blut war nicht zu spüren, nur eine kleine Beule,
die aber nicht sonderlich wehtat.
    Dann blickte er auf.
    In einem ausladenden, luxuriösen Sessel saß, ein Glas mit einer
bernsteinfarbenen Flüssigkeit in der Hand, der fette Mann aus der King’s Arms Tavern.
Der fette Mann aus der Leichenhalle im Krankenhaus. O nein!, dachte Orphan.
    Â»Sie«, sagte Orphan, was ihm sogleich äußerst töricht vorkam.
    Der fette Mann nickte freundlich. »Ich«, bestätigte er.
    Orphan betrachtete ihn genauer. Seine beträchtlichen Massen waren
über einen großen Körper verteilt. Auch sein Kopf war groß und

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