Bookman - Das ewige Empire 1
Irvings davontrieb.
Während er das Ufer immer weiter hinter sich zurücklieÃ, schälte
sich vor ihm eine kleine Insel aus dem Halbdunkel heraus. Das Boot, das einen
eigenen Willen zu haben schien, steuerte auf diese Insel zu.
Die Reise dauerte nicht lange. Nachdem das Boot auf Grund gelaufen
war, ging Orphan an Land. Jetzt fühlte er sich besser und war völlig
schmerzfrei. Als er sich an die Nase fasste, stellte er fest, dass der Bruch
verheilt war. Insgesamt war ihm leicht zumute, sein Kopf klar. Das muss am
Wasser liegen, dachte er.
Er stand auf schwarzem Sand. Die Insel war fast völlig flach, eine
auf dem Wasser schwimmende Scheibe. Als er den Sand mit dem Fuà wegscharrte,
kam ein grünliches Metall zum Vorschein. Eine künstliche Insel, stellte er ohne
allzu groÃe Ãberraschung fest. Er machte einen Schritt vorwärts, dann noch
einen. Der Boden stieg leicht an, um schon nach wenigen Schritten sanft nach
unten abzufallen.
Die Lichtkugeln über seinem Kopf erloschen langsam, bis ihn abermals
Finsternis umgab. Reglos blieb er eine Weile stehen und wartete.
Obwohl er innerlich darauf vorbereitet war, zuckte er zusammen, als
die Stimme ertönte. »Mr. Orphan. Was für eine Freude, Sie endlich
kennenzulernen.« Die Stimme klang tief und melodisch.
Direkt vor ihm flackerte ein Licht auf, das von einer altmodischen,
verschnörkelten StraÃenlaterne kam, die mitten im Sand stand. Orphan erblickte
eine kleine viereckige Fläche, die nach Art eines Schachbretts mit schwarzen
und weiÃen Fliesen ausgelegt war. In der Mitte des Platzes befand sich ein
Tisch, auf dem eine Teekanne, ein Milchkännchen, eine Zuckerdose sowie zwei
Tassen aus feinstem Porzellan standen. Auf einer Untertasse lag etwas, das nach
Ingwerkeksen aussah.
Einer der Stühle war leer, auf dem anderen saà ein Mann.
Der sich erhob, als Orphan näher trat. Er war groà und athletisch
und hatte schwarzes, leicht aus der Stirn zurückweichendes Haar. Gekleidet war
er in einen eleganten Anzug, wie ihn ein wohlhabender Börsenmakler oder Bankier
aus der City tragen würde. Sein Gesicht war glatt rasiert. Er kam Orphan mit
ausgestreckter Hand entgegen, um ihm mit festem Griff die Hand zu schütteln.
Seine Augen funkelten. Orphan war vollkommen durcheinander.
»Bitte«, sagte der Mann, auf den Tisch weisend, »nehmen Sie doch
Platz und trinken Sie eine Tasse Tee. Ich habe mich sehr auf ein Gespräch mit
Ihnen gefreut.« Ohne auf Orphan zu warten, kehrte er auf seinen Platz zurück
und machte sich daran, Tee in die zwei Tassen einzuschenken. Orphan wusste
nicht recht, wie er sich verhalten sollte, und fühlte sich irgendwie
unbehaglich â oder war er am Ende enttäuscht? Was hatte er eigentlich erwartet?
Dies jedenfalls nicht. Er nahm dem Mann gegenüber Platz.
»Milch? Zucker?«
»Zwei Stück Zucker, bitte«, sagte Orphan, dem seine eigene Stimme
unwirklich vorkam. Vielleicht, so dachte er, habe ich Jack gar nicht
erschossen. Vielleicht liege ich immer noch auf dem Boden des Souterrains, habe
eine Gehirnerschütterung und bilde mir das alles nur ein. Sollte sich
herausstellen, dass ich ihn nicht erschossen habe, würde ich mich freuen, denn
er war schlieÃlich mein Freund. Dann überlegte Orphan, in welches Krankenhaus
er sich begeben würde, falls sich das Ganze tatsächlich als Halluzination
erwiese. Wieder in Guyâs Hospital? Wohl kaum.
»Sicher haben Sie eine Menge Fragen«, sagte der Mann, indem er
Orphan seine Tasse reichte.
Orphan schnupperte am Tee, der gut roch â offensichtlich Earl Grey â, und als er einen Schluck trank, breitete sich wohlige Wärme in seinem ganzen
Körper aus. »Ein oder zwei«, erwiderte er zögernd. Irgendetwas stimmte hier
nicht. Er wusste bloà nicht, was.
Der Mann nickte, als bestätigte Orphans Antwort irgendeinen
wichtigen Gesprächspunkt. »Sie werden sich fragen, wer ich bin.« Er lächelte.
Seine Zähne waren weià und gleichmäÃig. »Ich bin natürlich der Bookman.« Er
lachte und schüttelte den Kopf. »Genau genommen ein Bookman«,
fuhr er fort. »Ich fürchte, Sie sind dem Irrtum aufgesessen, uns für eine
einzige Person zu halten â zweifellos für eine geheimnisvolle und ruchlose
Person.« Er seufzte und trank einen Schluck Tee. »Leider ist die Wirklichkeit
wesentlich profaner. Möchten Sie einen
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