Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
Vom Netzwerk:
er mit einem Schrei vom Stuhl hoch, sodass er beinah seinen Wein
verschüttet hätte.
    Eine riesige Echse war ins Zimmer gekommen.
    Wie er gleich darauf feststellte, war es jedoch keine königliche
Echse, sondern eher eine Kreatur der Art, wie er sie auf dem Hahnenkampfplatz
in der Drury Lane gesehen hatte. Sie war mindestens einen Meter achtzig lang
und hatte gelbe Streifen und Flecken, die sich über den Körper und den
mächtigen Schwanz zogen. Die Echse watschelte ins Zimmer, blieb stehen und ließ
die Zunge aus der Schnauze schnellen.
    Â»Das ist Victoria«, stellte Verne vor.
    Â»Victoria!«
    Â»Mein Haustier. Ist sie nicht wunderschön?«
    Orphan kippte den Rest seines Weins runter.

20
Die Nautilus
    Jetzt gäb’ ich tausend Hufen See für einen
Morgen dürren Landes:
hohe Heide, braune Geniste, was es auch wäre.
    Der Wille droben geschehe, aber ich stürbe
gern eines trocknen Todes!
    William Shakespeare, Der Sturm
    Als Orphan erwachte, sickerte das matte Licht des frühen
Morgens durch die Vorhänge aus schwarzem Samt. Durch ein offenes Fenster wehte
eine kühle Brise herein, die ihn erschauern ließ. Über sich erblickte er Jules
Vernes Vollmondgesicht.
    Â»Puh!«, sagte Orphan, der erst jetzt ganz zu sich kam. Verne
grinste. »Guten Morgen, junger Mann«, sagte er. »Sie haben lange geschlafen,
aber nun müssen wir aufbrechen. Es ist so weit, Orphan.« Sein Grinsen
verflüchtigte sich, und er setzte eine feierliche Miene auf. »Es ist so weit«,
wiederholte er.
    Nachdem Orphan aufgestanden war, sah er sich nach seiner Kleidung
um. Auf einem Stuhl neben dem Bett lag ein neuer Anzug für ihn bereit. »Robur
ist gerade dabei, Frühstück zu machen«, teilte Verne mit. »Kommen Sie in
fünfzehn Minuten in die Küche runter. Bei Flut segeln wir ab.«
    Heute hatte Orphan wieder einen klaren Kopf. Er stand eine Weile
mitten im Zimmer, reckte sich und atmete die Meeresluft ein, die ihm flüsternd
vielerlei zu verheißen schien. Eine Seereise – das beschwor Bilder aus Büchern
herauf, die er in seiner Jugend gelesen hatte und in denen es um Schätze,
Seeschlachten und Tropenstürme gegangen war. Darin steckt ein ganzes Buch mit
Gedichten, dachte er. Doch seit jenem Tag im Nell Gwynne hatte er kein Gedicht
mehr geschrieben. Es schien, als wäre seine dichterische Ader mit dem Tod Lucys
versiegt und wartete ebenfalls darauf, wieder zum Leben zu erwachen.
    Er zog sich an und ging nach unten. Verne saß allein am Küchentisch,
vor sich einen Teller mit einem riesigen Berg Essen. Robur stand am Herd und
bereitete Eier mit Schinken zu.
    Verne zeigte mit der Spitze seines mit Butter beschmierten Messers
auf einen leeren Stuhl. »Setzen Sie sich.«
    Robur servierte ihm sein Frühstück, das aus Eiern, Schinken,
Toastscheiben, Butter, Marmelade sowie starkem, süßem Kaffee bestand – ein
deftiger Muntermacher. »Englische Küche«, stellte Robur kopfschüttelnd fest und
verschwand ins angrenzende Zimmer.
    Â»Orphan«, sagte Verne, »Sie sind unversehens in diese Sache geraten,
und Ihnen fehlt die Orientierung. Sie sind ein tapferer, ein ehrenhafter Mann.
Das weiß ich zu schätzen. Wie Sie wissen, habe ich schon einmal versucht, auf
Calibans Insel zu landen, was mir jedoch nicht geglückt ist. Folglich weiß ich
kaum mehr als Sie darüber. Ich habe keine Ahnung, was uns dort erwartet. Aber
ich verstehe mich darauf, ein Schiff zu lotsen, und ein solches habe ich,
ebenso wie die erforderliche Mannschaft. Ich werde Ihnen helfen, soweit ich
kann, und Ihnen das wenige, das ich weiß, gerne mitteilen.« Verne stand auf und
griff nach Orphans Hand, um sie unbeholfen mit beiden Händen zu umschließen.
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Sie dort hinzubringen – und
auch, um Sie lebendig wieder zurückzubringen. Glauben Sie mir das?«
    Orphan musterte den Schriftsteller. Obwohl er in die Verschwörungen
des Bookman verwickelt war – und trotz seines theatralischen Auftretens –,
mochte Orphan Verne. Dem Mann haftete etwas Unschuldiges an, in das sich eine
kindlich-freche Freude an allem mischte, so als wäre das Leben ein großes
Spiel, ein Geheimnis, das darauf wartete, von ihm, Verne, Schritt für Schritt
erkundet zu werden. »Ja«, erwiderte Orphan.
    Verne lächelte. »Gut.«
    Schweigend verzehrten sie ihr Frühstück.

Weitere Kostenlose Bücher