Bookman - Das ewige Empire 1
Orphan.
»Das mussten wir«, entgegnete Wyvern. »Um die Geschichte dieser Welt
zu verändern und eine neue Technologie zustande zu bringen, die nur ein
einziges Ziel hatte: dass wir uns der von Menschen entwickelten Wissenschaft
bedienen können, um eine Botschaft nach Hause zu schicken. Damit man kommt und
uns abholt.«
»Nein!«, sagte Orphan, dem die Worte des Bookman einfielen. »Die
Botschaft wird ihr Volk auffordern, hierherzukommen! Sich hier niederzulassen
und Ihnen dabei zu helfen, die Welt zu erobern.«
Zu Orphans Verblüffung kicherte der Pirat. »Eine Invasion? Nein. Das
können Sie nicht verstehen, Orphan. Wo wir herkommen ⦠dieser Planet hier
bedeutet uns nichts. Wir lebten in riesigen Habitaten im Weltraum, die wir nach
unseren Vorstellungen geformt hatten. Dort gingen all unsere Wünsche, all
unsere Träume wie von selbst in Erfüllung. Wir besaÃen die Macht von Göttern.
Nein, mein Volk möchte nach Hause zurückkehren, bevor wir aussterben. Diese
Welt â dieser Planet â behagt uns nicht.«
Orphan wusste nicht, was oder wem er glauben sollte. »Und Sie?«,
fragte er schlieÃlich. Was wollen Sie?, ergänzte er in Gedanken. Was haben Sie
davon, wie wir Menschen zu leben â eigentlich noch schlechter als wir, nämlich
wie ein Wilder auf einem schäbigen Piratenschiff.
Der Pirat lachte, was Orphan abermals überraschte. »Ich habe nie
eine Welt beherrschen wollen«, sagte der Echserich. »Für mich ist dieses Leben
mein Paradies. Härter, einfacher und ehrlicher als jedes andere. Ich hätte bei
Hofe eine Rolle spielen und über irgendein Eingeborenenreich herrschen können,
aber ich ziehe das hier vor, mein Junge, selbst wenn ich eines Tages durch eine
Kanonenkugel oder eine Klinge umkommen sollte. Der Bookman und meine
technologieverliebten Artgenossen können von mir aus alle am Grund des Meeres
verrotten!«
Das war das Letzte, was Wyvern zu ihm gesagt hatte. Danach hatte er
ihn weggeschickt, und Orphan war wieder zu den anderen gestoÃen, um in den
kommenden Tagen und Wochen wie sie â wie der Kapitän â zu leben. War das
Freiheit?
Es ist eine Art der Freiheit, sinnierte er. Doch jedes Wesen â ob
Mensch, Maschine oder Echse â strebte vielleicht nach der ihm eigenen Freiheit,
sodass es unzählige Arten von Freiheit gab, alle schwer zu erlangen.
Er wollte, dass ihm seine Freiheit jetzt zuteilwurde. Vor allem aber
wollte er, dass Lucy die ihre erhielt.
26
Der Binder
Jedes Kraut, jeder Strauch, jeder Baum, ja,
auch unser eigener
Körper lehrt uns, dass nichts von Dauer oder
verlässlich ist.
Unmerklich verstreicht die Zeit, ein
Sonnenaufgang folgt dem anderen,
der neuen Wechsel bringt.
Charles Johnson, Allgemeine Geschichte
der Piraterie
Die Nacht verbrachte Orphan am Strand, eingekuschelt in
eine warme Sandkuhle und von Moskitos umsurrt. Obwohl ihn das Dröhnen der
Trommeln einlullte, das unablässig aus der Ferne zu hören war, schlief er
unruhig und wurde immer wieder vom Geschrei der Piraten geweckt, das ihn aus
wirren Träumen riss, um ihn an den Strand zurückzuholen, wo es nach Holzrauch
und Rum roch.
Nach einer Weile gelang es ihm jedoch, in tieferen Schlaf zu sinken,
in dem er von Träumen verschont blieb. Sein Bewusstsein schaltete eine Zeit
lang ab und hüllte ihn in Dunkelheit, die von groÃem Frieden erfüllt war.
Doch plötzlich fuhr er aus dem Schlaf auf. Das Hämmern seines
Herzens kam ihm auf einmal so laut wie das Dröhnen der Trommeln vor und schien
mit ihnen im gleichen Takt zu schlagen, schien sich einzufügen in die komplexen
Rhythmen, mit denen die Trommeln die Insel überzogen.
Er spürte eine Hand auf der Schulter und begriff, dass er wach
gerüttelt worden war. Aramis. Orphan hob den Kopf und starrte auf die dunkle
Bucht. Ringsum war alles ruhig. Nur die Trommeln waren nach wie vor zu hören.
»Komm«, forderte ihn der Roboter auf.
Orphan erhob sich, als wandelte er im Schlaf. »Wo wollen wir denn
hin?«, fragte er.
»In den Wald. Komm!«
Er folgte Aramis, der ihn den Strand hochführte, bis sie den Wald
erreichten, wo sie eine noch tiefere Dunkelheit umgab.
Um ihn herum dröhnten die Trommeln in einem wilden, an- und
abschwellenden Rhythmus, dessen Muster er fast nachzuvollziehen vermochte. Es
war das Geräusch von Maschinen, gleichmäÃig und hypnotisch. Orphan stolperte
durch
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