Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
können. Seine persönlichen Fehlschläge und die nicht enden wollenden Herausforderungen wurden ihm jeden Tag, den er sich an seinem Schreibtisch plagte, überdeutlich ins Bewusstsein gerufen.
Tropf …
Tropf …
Tropf …
Doch jetzt, nach seiner Gefangenschaft und Folter, klang jeder Tropfen so süß wie Bachs Violinkonzert in E-Dur.
Er ließ den Blick durch das Archiv wandern, über die verschiedenen Rohre und Flaschenzüge, die Regale voll interessanter Entdeckungen bis zu der Bedieneinheit der analytischen Maschine. Ihr Anblick zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht – eine durch und durch eitle, narzisstische Reaktion auf seine gleichsam frankensteinhafte Schöpfung, die diesen arroganten Tüftelheimern des Ministeriums die Sprache verschlug. Und warum sollte Wellington auch nicht stolz auf diesen tief im Archiv verborgenen Diamanten sein? Seine Maschine verbesserte den archivarischen Wirkungsgrad um ein Tausendfaches, und die Tüftler aus Forschung und Entwicklung hatten nicht das Geringste dazu beigetragen.
Er öffnete einen schmalen Auszug seines Schreibtisches und tippte mit flinken Fingern verschiedene Sequenzen aus Buchstaben und Ziffern, die dem metallenen Ungeheuer schließlich eine Abfolge von Klick- und Surrlauten entlockten sowie einige Dampfstöße. Die Maschine nahm Wellingtons Eingabe an, rechnete und führte schließlich den Befehl aus.
Einen Moment lang herrschte Stille, dann ertönten aus dem Akustiktrichter der analytischen Maschine lange, schmachtende Klänge. Johann Sebastian Bach, Violinkonzert in E-Dur. Das Adagio. Genau das, was er brauchte.
Sollte er diese Aufnahme jemals zu Hause abspielen, würde sie bei der Wiedergabe leicht blechern klingen. Hier jedoch, in seinem Archiv, verlieh die Akustik der Musik eine wunderbare Resonanz. Nicht genauso wie in einer Konzerthalle, aber zweifelsohne vergleichbar. Wellington atmete tief ein, und als er die Augen wieder öffnete, starrte er auf sein aufgeschlagenes Tagebuch.
Ich bin zu Hause. Ich bin wieder in meiner sicheren Zuflucht, hatte er gerade erst geschrieben. Und doch habe ich das Gefühl, als stünde das Schlimmste noch bevor.
Wellington schluckte. Er hatte keine Ahnung, was er getan haben mochte, um eine Aufmerksamkeit zu verdienen, wie sie ihm das Haus Usher hatte angedeihen lassen. All die Anstrengungen, die sie unternommen hatten, um ihn von Mutter England bis in die entlegensten Gebiete des Empires zu entführen, waren beeindruckend, wenn sie nicht sogar bescheiden machten.
Er nickte, tauchte seine Schreibfeder in das Tintenfass und fügte hinzu: Vermutlich ist es lediglich diese Furcht, die von den meisten nach ihrer Rückkehr aus einer Schlacht empfunden wird. Sie sind überrascht, das Licht des nächsten Morgens zu sehen und als Held in ihre Heimat zurückzukehren. Insgeheim rechnen sie fest damit, dass ihre Tage ein abruptes Ende finden. Als lebten sie dieses alte, arabische Gleichnis vom Kaufmann, der auf der Straße dem Tod begegnet.
War er als Held zurückgekehrt? Gut möglich – als unbesungener zwar, aber immerhin hatte er den Mund gehalten –, kein einziges Geheimnis des Ministeriums war ihm über die Lippen gekommen. Nun gut, sie hatten das eigentliche Verhör noch nicht begonnen, nichtsdestotrotz hatte es einige kritische Momente gegeben. Sehr kritische. Nicht, dass er es vor irgendjemandem im Ministerium offen zugegeben hätte, aber womöglich waren sogar ein paar Tränen geflossen.
Glücklicherweise hatten alle, die eine solche Peinlichkeit hätten ausposaunen können, in Asche, Feuer und Schnee ihren Untergang gefunden. Gott sei Dank.
Die analytische Maschine klickte und sirrte abermals und folgte nun den Protokollkarten, die Wellington mit diesem Befehl verknüpft hatte. Die Maschine blieb bei dem Komponisten, suchte jedoch stattdessen nach einem anderen Musikstück, das sie abspielen konnte. Sie wählte das Doppelkonzert für Violine, Oboe und Orchester in d-Moll. Bei den schrillen Klängen der mitwirkenden Holzbläser erschauerte er, obgleich er die Oboe normalerweise sehr genoss – es war aber einfach nicht der richtige Morgen dafür. Er tippte auf die Taste für den Zufallsgenerator, die auf der Tastatur deutlich abgesetzt war, und sofort suchte die Rechenmaschine von Neuem. Diesmal förderte sie das langsamere Violinkonzert in a-Moll zutage. Wellington stieß ein leises Schnauben der Erleichterung aus, widmete sich wieder seinem Tagebuch und kritzelte etwas an den Rand.
[Anmerkung: Die
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