Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
Ihren stark reglementierten Zeitplan zu gewöhnen, Welly. Ich war wirklich bemüht, heute pünktlich zu kommen, also habe ich früh gefrühstückt. Dann hatte ich nur noch einen frühen Tee bei meiner Nachbarin, und jetzt habe ich wieder Hunger. Darum werden Sie mich jetzt entschuldigen müssen. Ich werde jedenfalls nicht mit knurrendem Magen vor einem Gentleman sitzen und arbeiten.« Sie schaute noch einmal auf die Uhr und verzog das Gesicht. »Also schön, auf Wiedersehen. In einer Stunde bin ich wieder da. Vielleicht.«
Mit einem Rascheln ihrer Röcke verschwand Braun in den Schatten des Archivs und erschien dann wie eine leuchtende Scherenschnittfigur vor der dunklen Stützwand der Treppe.
Wellington trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch und beobachtete, wie sie nach oben ging. Die Unverfrorenheit dieser Frau war einfach nicht zu fassen. Erschien zu spät zur Arbeit, nur um bereits nach zehn Minuten wieder zu verschwinden und ihr Mittagessen zu sich zu nehmen? Eine Schande! Wie war es dieser aufmüpfigen Xanthippe nur gelungen, zu einer der herausragendsten Geheimagentinnen des Ministeriums zu werden? Ihre Resultate mussten wahrlich überwältigend sein.
Wellington schniefte kurz und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Katalogisierung der Eldoradokrüge … minus einen. Da musste er plötzlich niesen.
Schniefend holte er sein Taschentuch hervor, und dann nieste er erneut, und zwar heftig. Seine Nase drohte zu verstopfen, aber den Schuldigen konnte er gerade noch identifizieren: Flieder.
Moment mal , dachte er. Agentin Braun trug … ein Kleid?
Als die Tür am oberen Treppenabsatz leise ins Schloss fiel, richtete sich Wellington kerzengerade auf und nieste abermals. Und während er allein an seinem Schreibtisch in ein Taschentuch schnäuzte, fing er langsam an zu kochen.
Er wusste jetzt, warum er mit seiner Geduld am Ende war – von wegen, Mittagessen!
Er spazierte um seine Maschine herum und warf einen nervösen Blick zu der Tür, die sich soeben geschlossen hatte. Lautlos zählte er einige Sekunden und lauschte, ob ihn niemand mit einem Besuch überraschen wollte. Doch warum sollte dieser Tag anders sein als alle anderen?
Die verborgene Datenstation auf der Rückseite der analytischen Maschine kam zum Vorschein und erwachte zischend zum Leben; die Farbe des Monitors wechselte langsam von glänzendem Schwarz zu mattem Gelb. Wellington knetete seine Hände und verspürte einen Anflug von Erregung, als er die Knöchel knacken hörte. Dann ließ er seine Finger über die Tastatur tanzen, während er auf die Anzeigeeinheit schaute:
ZUGANG ZUM ELEKTRONISCHEN ORTUNGSSYSTEM
Erneut richtete er den Blick auf die schwere Eisentür vier Treppenabsätze über ihm. Wenn jetzt jemand hereinkäme …
Wie bei der Teezubereitung gab die analytische Maschine ein Klingeln von sich, das seine Aufmerksamkeit zurück auf den winzigen Monitor lenkte.
ELEKTRONISCHES ORTUNGSSYSTEM AKTIVIERT . AGENT ?
Er wusste, dass er hiermit eine gewisse Grenze überschritt. Aber hatte sie nicht erst vor wenigen Minuten das Gleiche getan? Mit schmalen Augen tippte er:
ELIZA D. BRAUN
Er konnte hören, wie die Rohre in seiner Maschine erbebten, und ihr inneres Summen schwoll an, als sie mit der Suche begann. Mit jedem Signal, mit jedem Ping, das sie aussandte, benötigte sie mehr und mehr Energie.
Schließlich flackerte die Anzeige für einen Moment, und dann erschien, übertragen durch den Äther, eine Antwort:
AGENT GEORTET .
NÄCHSTER BEFEHL ?
Nächster Befehl? Beschaffung eines Verstecks, nachdem er Agentin Braun zur Rede gestellt hatte? Das klang durchaus reizvoll. Stattdessen tippte er:
DATENÜBERTRAGUNG ZUM ORTUNGSAPPARAT
Das würde einige Minuten in Anspruch nehmen, was ihm wiederum genug Zeit gab, um Mantel und Melone zu holen. Für diese kleine Unternehmung, so dachte er, dürfte sein Gehstock nicht vonnöten sein.
Kapitel 6
In welchem unsere reizende Miss Eliza Braun sich ins Bedlam wagt und einem Geist aus ihrer Vergangenheit nach besten Kräften Wiedergutmachung leistet
Zum zweiten Mal in zwei Wochen sah Eliza D. Braun sich ernsthaft gezwungen, darüber nachzudenken, ob sie nicht vielleicht ein Feigling war. Als sie vor den Pforten des Bethlehem Royal Hospitals stand, allgemein als Bedlam bekannt, musste sie feststellen, dass ihre Füße nicht bereit waren, sie auch nur einen Schritt weiter zu tragen. Wer es nicht besser wusste, hätte das kunstvolle Tor auch für den Eingang zu einem prächtigen
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