Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
Neues. Und im Grunde empfand er die Geräusche des Archivs – angefangen beim Kratzen einer Feder auf Pergament bis hin zum allgegenwärtigen Summen des Generators – als ausgesprochen tröstlich, mehr noch als die Geräusche bei ihm zu Hause. Doch an diesem speziellen Morgen trieb ihm jede gezogene Linie einen unsichtbaren Nagel in den Schädel. Tiefer und tiefer mit jeder Zahl und jedem Buchstaben. Aber warum?
»Morgen, Welly.« Die Stimme hallte von der obersten Stufe der Steintreppe zu ihm herunter.
Und plötzlich kam er dahinter. Seine Assistentin hatte sich verspätet. Wieder einmal.
Er blickte zu der Uhr auf, die neben ihrem gemeinsamen Schreibtisch hing. Sieben Minuten vor elf. »Fast Mittag«, flüsterte er zu sich selbst. Dann ging er zum Angriff über. »Bald erscheinen Sie hier erst am Nachmittag, was, Miss Braun?«
»Oh, na ja, Welly, also, ich war gerade auf dem Weg zur Arbeit, als mich die Nachbarin, ein süßes, schmächtiges Mädchen, zu einem frühen Tee einlud. Und da sie meine Nachbarin ist und sich um meine Katze kümmert, wenn ich im Außendienst bin … «
»Sie meinen, als Sie noch im Außendienst waren ?«
»Welly, sie war immer sehr lieb und verständnisvoll, wenn es darum ging, sich um Scheherazade zu kümmern. Ihre Einladung anzunehmen war das Mindeste, was ich tun konnte. Und da es das erste Mal war, musste ich mich einfach einen Moment hinsetzen und ein bisschen mit ihr plaudern.«
Brauns Augen schienen ihn anzuflehen, als fragten sie stumm: Was hätten Sie denn an meiner Stelle getan, Welly?
Es war die Mitte der zweiten Woche ihrer gemeinsamen Archivarbeit, und er spürte, dass ihm bald der Geduldsfaden reißen würde. Wenn das so weiterging, würde Wellington in Dr. Sounds Büro stürmen und fragen, wie lange er noch mit der Anwesenheit dieser Frau in seinem Archiv bestraft werden solle.
Ja, in seinem Archiv. Dr. Sound mochte diese Einstellung nicht gefallen, doch wenn seine alleinigen Bemühungen hier unten nicht gewesen wären …
»Books, geht es Ihnen gut?«, fragte Braun und nahm auf ihrer Seite des Schreibtisches Platz. »Sie sehen aus, als würden Sie mich gleich anbrüllen.«
»Haben Sie auf dem Weg hierher irgendetwas zerbrochen?«
»Nein.«
»Dann werde ich Sie auch nicht anbrüllen.« Er setzte die Feder auf das Papier, als wollte er mit seinen Aufzeichnungen fortfahren, hielt dann jedoch inne und riss sich die Brille vom Gesicht. »Miss Braun, wieder einmal haben Sie der Zeit nicht die geringste Beachtung geschenkt. Gestern ging es darum, Ihre Ausrüstung zusammenzusuchen und sie dem Ministerium zurückzubringen. An früheren Vormittagen haben Sie behauptet, es läge an Ihrem Unvermögen, Ihre morgendliche Routine den neuen Bedingungen anzupassen.«
Braun nickte und räusperte sich. »Ja, nun, ich habe Ihnen gleich am ersten Tag gesagt, dass ich für diese Arbeit einige Eingewöhnungszeit benötige, wo das Archiv doch nach einem derart strengen Zeitplan betrieben wird. Ein Vorteil im Leben einer Geheimagentin ist ein gewisser Spielraum, was den Arbeitsbeginn und Tagesablauf betrifft.«
»Wohl etwas zu viel Spielraum, wenn Sie mich fragen.«
»Oder einfach ein Dankeschön der Krone, das besagt: ›Wir wissen es durchaus zu schätzen, dass Sie sich für den Thron anschießen lassen und Leib und Leben riskieren. Schlafen Sie doch einfach aus, wenn Sie wollen. Danke!‹ Denn, abgesehen von den Reisen und den ziemlich raffinierten Gerätschaften, die wir bekommen, hat es nur sehr wenige Vorzüge, ein Geheimagent zu sein.«
»Vielleicht.« Er musterte sie eingehend, lauschte dem Ticken der Uhr und lenkte schließlich ein. »In Ordnung, Miss Braun, den Rest dieser Woche werde ich Ihnen noch zugestehen. Aber Montagmorgen will ich Sie um Punkt acht Uhr an Ihrem Schreibtisch sehen, wo Sie sich fleißig durch die Renaissance arbeiten.«
»Heinrich der Siebte?«
»Der Achte«, korrigierte Wellington und sprach ungeachtet des leisen Stöhnens, das Braun von sich gab, eisern weiter. »Bei einem Fall jüngeren Datums sind wir auf einen neuen Beweis gestoßen, der sich auf Anne Boleyn bezieht.«
»Ach, ja?«, fragte sie. »Und was soll der beweisen? Dass sie wirklich eine Hexe war und den König mit einem Zauber belegt hat?«
Er sah zu ihr hoch. »In der Tat, ja. Wir sind auf eine alte Schrift gestoßen, die eine solche Vermutung nahelegt.«
»Was für eine Schrift?«
»Sie liegt vor Ihnen.« Wellington deutete auf ein großes Buch, das fast ein Drittel ihrer
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