Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
er hinzu und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, den Kopf im Nacken, »handelt es sich hierbei um Kultur in ihrer höchsten Form. Kultivierte Kost für kultivierte Gaumen.«
»Es ist eine Oper, Kumpel«, schäumte Braun. Einen Moment lang beobachtete sie das Geschehen auf der Bühne, dann knurrte sie: »Ich kenne genug Schotten, um eines über sie zu wissen: Sollte jemals eine Gruppe von Männern durchs Moor wandern und dabei so kreischen wie die dort, würden die Schotten sie wie Baumstämme nach England werfen.«
Als die Szene sich ihrem Ende näherte, wurde nach und nach Beifall laut. Wellington stimmte mit ein. Er schaute zu Eliza hinüber, die gelangweilt ihre Fingernägel betrachtete.
»Ach, kommen Sie, Eliza. Geben Sie sich einen Ruck«, ermunterte er sie über den Applaus hinweg.
»Ein solches Gebaren möchte ich keinesfalls unterstützen«, erwiderte Eliza, und ihr desinteressierter Blick kehrte zur Bühne zurück, als die Szene gerade zu den Hügeln Schottlands wechselte. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, bevor sie flüsterte: »Ich bin immer noch ein wenig verwirrt. Worauf warten wir eigentlich?«
»Wir warten auf eine der wenigen Konstanten in dieser Welt, Miss Braun«, versicherte Wellington. »Am Ende einer jeden Oper steht das große Finale. Dann, wenn die Musik ihr stetiges Crescendo fortsetzt, der Tenor und das Tempo ganz langsam dem dramatischem Höhepunkt entgegenstreben, diesem Moment der Erwartung … «
»Welly, reden Sie über Opern oder über Sex?«
Seine nächsten Worte blieben ihm im Halse stecken. Für eine Person von so feinem Schönheitssinn und scheinbarer Kultiviertheit konnte diese Frau ein arg grobschlächtiges Verhalten an den Tag legen.
Plötzlich ein kurioses Knarren. Wellington sah Eliza mit zusammengekniffenen Augen an.
» Ich «, flüsterte sie harsch, »war das nicht!«
Da knarrte es erneut, nicht so laut diesmal, aber noch genauso sonderbar. Sowohl Wellington als auch Eliza ließen den Blick über das Publikum schweifen, dessen gebannte Aufmerksamkeit allein der Eröffnung des vierten Aktes galt. Offenbar hörten die anderen Operngäste das Knarren nicht. Wellington sah Eliza an und deutete mit dem Kopf auf die Loge unter ihnen – nach ein paar Minuten, am Ende des Decrescendos, vernahmen sie wieder das leichte, entspannte Knarren.
In der Phönixloge schnarchte jemand.
Eine Stimme aus der Loge flüsterte schroff: »Bei allen Göttern!«
»Ja, Vater hat sich auch immer über ihr Schnarchen beklagt«, hörten sie die Erwiderung. »Hilf mir, sie nach hinten zu schieben! Ehe sie noch unangenehm auffällt.«
Wellington erhob sich und strich sein Jackett glatt, das gar nicht verknittert war. Dann beobachtete Eliza aufmerksam, wie er die Bänder des Vorhangs löste, um für mehr Sichtschutz zu sorgen. Als er ihr schließlich seine Hand anbot, hob sie ungläubig die Augenbrauen. Denn das Zuziehen des Vorhangs gleich nach dem Beginn eines Aktes war für ein Ehepaar – als das sie sich ja ausgaben – ein geläufiger Ausdruck von Langeweile angesichts des Bühnengeschehens, woraufhin das Paar andere Formen der Unterhaltung ersann, absolut diskret natürlich.
Ich tue nur das Meinige, um den Schein zu wahren , dachte Eliza schmunzelnd, als sie ihre Hand in seine legte. Verzeiht meine lieben Mimen, aber die Pflicht ruft . Gemeinsam verschwanden sie in dem Halbdunkel ihrer Loge.
Wellington ging in die Hocke und zog seinen Koffer in die Mitte. »Sind Sie bereit?«, flüsterte er.
»Bereit wofür?«
Die Schlösser schnappten auf, und die obere Hälfte des Koffers klappte nach hinten. »Für den Einsatz moderner Technik.«
Die Musik wurde wieder schneller. Darauf hatte Wellington gewartet. Umgehend förderte er aus seiner Jackentasche zwei Messingschlüssel zutage, von denen er einen an Eliza weiterreichte.
»Auf mein Zeichen«, sagte er und schob den Schlüssel in die dafür vorgesehene Öffnung auf seiner Seite. Sein Kopf wippte im Takt der Musik. »Eliza! Den Schlüssel – in das Loch – wenn Sie so freundlich sein wollen … «
Schnell steckte sie ihren Schlüssel in das gegenüberliegende Schloss und wartete. Weitere Sänger stimmten in den Chor mit ein, die Violinen bauten ihr Tempo auf. Wellington federte im Rhythmus der Musik in den Knien, dann nickte er Eliza unmissverständlich zu. Gleichzeitig drehten sie ihre Schlüssel herum, und in dem Moment – wie Wellington es geplant hatte – setzten die Bläser ein; Sänger und Streicher verstummten oder
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