Boomerang
Sie ist mit einer Frau verheiratet.) In Island kennt zwar jeder jeden, aber wenn ich Isländer nach Gesprächskontakten frage, verweisen mich Männer grundsätzlich |56| an Männer und Frauen an Frauen. Es war ein Mann, der mir vorschlug, mich doch mit Stefan Alfsson zu unterhalten.
***
Mit seinem ausgemergelten Gesicht, seinem hungrigen Blick und den Stoppeln im Gesicht sieht Stefan immer noch aus wie der Kapitän eines Fischkutters und nicht wie ein Banker. Mit 16 Jahren fuhr er zum ersten Mal zur See und nach der Saison besuchte er die Berufsschule der Fischer. Schon mit 23 Jahren war er Kapitän eines Fischkutters und galt als eine Art Wunderkind, weil er seine Fangquote schneller nach Hause brachte als alle anderen. Doch im Januar 2005, im Alter von 30 Jahren, ging er endgültig von Bord und heuerte als Devisenhändler der Landsbanki an. Zwei Jahre lang spekulierte er an den Finanzmärkten, bis zum großen Untergang im Oktober 2008. Dann wurde er entlassen, genau wie alle anderen Isländer, die sich als Händler bezeichneten. Seine Aufgabe bestand darin, seinen Kunden, vor allem Fischerkollegen, vermeintlich bombensichere Geschäfte anzudrehen: Leiht Yen zu 3 Prozent, kauft damit Isländische Kronen und investiert die zu 16 Prozent. »Ich glaube, es ist einfacher, einem Fischer den Devisenhandel beizubringen, als einem Devisenhändler den Fischfang«, meint er.
Dann erläutert er mir, warum der Fischfang schwieriger ist, als ich angenommen hatte. Es ist eine riskante Sache, vor allem, wenn man ihn nach Art der isländischen Männer praktiziert. »Schwuchteln können wir an Bord nicht gebrauchen«, sagt er, was vor allem am gefürchteten Kamikaze-Stil der isländischen Kapitäne liege. »Ich hatte mal eine russische Mannschaft«, erinnert er sich. »Nicht dass die Russen faul waren. Aber sie haben immer im gleichen Tempo gearbeitet.« Wenn |57| ein Sturm aufzog, holten sie die Netze ein, weil es ihnen zu gefährlich wurde. »Isländer fischen bei jedem Wetter«, erklärt Stefan. »Sie fischen, bis das Boot untergeht. Sie lieben das Risiko. Wenn du über Bord gehst, hast du schlechte Karten. Ich bin 33, und ich habe schon zwei Freunde auf See verloren.«
Er benötigte eine jahrelange Ausbildung und ein Quentchen Glück, um Kapitän zu werden. Mit 23 Jahren war er Erster Offizier, als der Kapitän seines Kutters die Segel strich. Der Besitzer suchte Ersatz und fand einen alten Mann mit dem wunderbaren Namen Snorri Snorrasson, der bereits im Ruhestand war und unter den isländischen Fischern einen legendären Ruf hatte. »Ich bin zweimal mit ihm rausgefahren«, erinnert sich Stefan. »Ich habe noch nie im Leben so wenig geschlafen, aber ich wollte einfach nur lernen. Jede Nacht habe ich vielleicht zwei oder drei Stunden geschlafen, weil ich die ganze Zeit neben ihm gesessen und mich mit ihm unterhalten habe. Ich habe ihn verehrt, und es ist schwierig zu erklären, was ich von ihm gelernt habe. Die Reichweite des Boots. Den besten Winkel für das Netz. Wie man sich auf See verhält. Was man an einem schlechten Tag macht. Wie man in dieser und jener Tiefe fischt. Ob man weiterfährt oder tiefer fischt, wenn man keinen Erfolg hat. Am Ende hat es viel mit Gefühl zu tun. Bei den zwei Fahrten habe ich mehr gelernt als in den ganzen Jahren in der Schule zusammen. Wie soll man in der Schule auch Fischen lernen?«
An diese außergewöhnliche Ausbildung erinnert er sich, als wäre es erst gestern gewesen, und beim Gedanken daran bekommt er feuchte Augen.
»Sie haben sieben Jahre lang den Fischfang in allen Einzelheiten studiert, bevor sie bei diesem legendären Kapitän lernen durften?«, frage ich.
|58| »Ja.«
»Und selbst dann mussten Sie diesem großen Meister monatelang zu Füßen sitzen, bevor Sie das Gefühl hatten, dass Sie wissen, was Sie tun?«
»Ja.«
»Warum haben Sie dann gedacht, dass Sie ohne jede Ausbildung Banker werden und am Finanzmarkt spekulieren können?«
»Das ist eine gute Frage«, antwortet er. Dann denkt er eine Weile nach. »Zum ersten Mal heute Abend fehlen mir die Worte.« Da ich auch oft denke, dass ich weiß, was ich tue, auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung habe, kann ich nachvollziehen, wie es ihm geht. Daher lasse ich ihn vom Haken, wie man das heute auf Island mit Bankern eben so macht.
»Was genau war Ihre Aufgabe?«, frage ich ihn.
»Am Anfang habe ich …« – er lacht – »… Unternehmen zur Kurssicherung im Devisenhandel beraten. Aber mit meiner aggressiven Art bin
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