Boomerang
Jon Danielsson, ein isländischer Professor an der London School of Economics, der sich ausgerechnet auf Spekulationsblasen spezialisiert hat, bot seine Hilfe an und wurde schnöde zurückgewiesen, genau wie einige renommierte Finanzexperten der Universität von Island. Selbst die Empfehlungen wirklich kluger Zentralbanker aus wirklich großen Ländern wurden abgelehnt. Es ist nur zu verständlich, warum die Unabhängigkeitspartei und ihr Premier den isländischen Frauen so unattraktiv erscheint: Das sind die Männer, die ihre Familie stundenlang im Kreis herumkutschieren und sich weigern, jemanden nach dem Weg zu fragen.
»Warum interessieren Sie sich ausgerechnet für Island?«, will er wissen, als er mit dem Selbstbewusstsein eines Regierungschefs von Weltrang in den Raum stolziert. Die Frage ist durchaus berechtigt.
Geir ist kein dummer Mann, aber das sind politische Führer ja selten, auch wenn die Leute, die sie gewählt haben, es noch so sehr behaupten. Er sagt zwar einige Dinge, die beim besten Willen nicht stimmen können, aber das gehört zu den Flunkereien, für die ein Premierminister bezahlt wird. Er behauptet beispielsweise, dass die Krone wieder stabil sei, obwohl sie in Wahrheit noch immer nicht an den internationalen Finanzmärkten gehandelt wird. Die Regierung weist ihr zu bestimmten Zwecken einen willkürlichen Wert zu. Aber Isländer im Ausland haben inzwischen gelernt, ihre Kreditkarten besser stecken zu lassen, weil sie Angst haben, den wirklichen Kurs bezahlen zu müssen, was immer das sein mag.
Der Premierminister will mir außerdem weismachen, er habe die Krise kommen sehen, habe aber nichts dagegen unternehmen |49| können. (»Wir konnten doch unsere Besorgnis um das Bankwesen nicht öffentlich zum Ausdruck bringen, weil wir sonst genau das ausgelöst hätten, was wir vermeiden wollten, nämlich eine Panik.«) Nicht Politiker wie er waren also schuld, sondern die Banker. Seine Mitbürger sehen das übrigens ganz ähnlich: Als der frühere Chef der Investmentbank Baugur aus dem 101 Hotel zu seiner Limousine rannte, wurde er mit Schneebällen beworfen, und als der frühere Kaupthing-Direktor seinen Platz im Nationaltheater einnahm, wurde er ausgebuht. Die großen Tiere haben sich überwiegend nach London abgesetzt oder halten sich versteckt. Sie lassen den Premierminister mit den zornigen Demonstranten allein, die sich jedes Wochenende unter Führung des Folksängers Hörður Torfason vor dem Parlament versammeln.
Geir spult seine Version der Geschichte ab: Ausländer hätten Island ihr Kapital anvertraut, und Island habe es gut verwaltet. Doch als am 15. September Lehman Brothers zahlungsunfähig wurde, seien die Ausländer in Panik verfallen und hätten ihr Geld zurückverlangt. Island sei nicht durch seinen eigenen Leichtsinn ruiniert worden, sondern sei Opfer eines globalen Tsunami geworden. Die Geschichte hat leider einen kleinen Haken, denn sie erklärt nicht, warum dieser Tsunami ausgerechnet Island traf und nicht zum Beispiel Tonga.
Aber ich bin nicht nach Island gekommen, um mich zu streiten. »Eine Frage wollte ich Ihnen unbedingt stellen«, sage ich.
»Ja?«
»Stimmt es, dass Sie den isländischen Bürgern gesagt haben, es sei Zeit, die Geldgeschäfte zu beenden und wieder fischen zu gehen?«
|50| Ein prima Spruch, denke ich. Knapp, wahr, auf den Punkt gebracht. Aber ich hatte ihn aus dritter Hand vom Manager eines New Yorker Hedgefonds. Der Premier sieht mich streng an. »Das ist eine Übertreibung«, antwortet er.
»Ich fand den Satz gar nicht schlecht«, erwidere ich etwas nervös.
»Das habe ich nie gesagt!«
Offenbar habe ich einen wunden Punkt getroffen, aber ich kann nicht sagen, welchen. Hat er Angst, dass er wie ein Idiot dastehen könnte, weil er so etwas gesagt hat? Oder meint er, die Fischerei sei weniger respektabel als Geldgeschäfte?
***
Als ich ins Hotel zurückkomme, stehen zum ersten Mal seit vier Nächten keine leeren Sektflaschen vor der Tür des Nachbarzimmers. Das isländische Pärchen, das hier vermutlich seine letzten Kronen verpulvert hat, ist abgereist. Vier Nächte lang habe ich ihr Ork-Geschrei ertragen, nun ist alles still. Endlich kann ich mich in mein Bett kuscheln und mich meinem Aufsatz über die isländische Fischereiwirtschaft widmen. Wie man es auch dreht und wendet, der isländische Wohlstand kommt vom Fisch, und wenn man verstehen will, was die Isländer mit ihrem Geld angefangen haben, sollte man vielleicht verstehen, wie sie es
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