Boomerang
ich bald in die Spekulation eingestiegen.« Viele seiner Kunden waren Fischer und Fischereiunternehmen, und genau wie er hatten sie gelernt, dass man Risiken eingehen muss, wenn man einen guten Fang machen will. »Die Kunden waren nur an Sicherungen interessiert, wenn sie damit Geld verdienen konnten«, sagt er und bricht in hysterisches Gelächter aus.
»Machte Ihnen die Arbeit im Bankwesen Spaß?«, frage ich.
»Für Banker hatte ich nie viel übrig«, antwortet er, während er noch immer nach Luft schnappt. »Bis heute ist mein Motto:
Vertrau keinem Banker
.«
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|59| Natürlich hätte sich den Isländern in den vergangenen fünf Jahren die eine oder andere Frage aufdrängen müssen. Zum Beispiel: Warum sollte Island plötzlich eine Schlüsselrolle in der internationalen Hochfinanz spielen? Oder: Warum sollten die großen Volkswirtschaften, die das moderne Bankwesen erfanden, plötzlich isländische Banken benötigen, um zwischen Investoren und Kreditnehmern zu vermitteln und zu entscheiden, wer wie viel Kapital bekommt? Oder: Wenn Isländer dieses unglaubliche Naturtalent für Geldgeschäfte hatten, warum hat dann mehr als ein Jahrtausend lang niemand etwas davon gemerkt? In einem Land, in dem jeder jeden kennt, seit er zwei Jahre alt ist, muss es bei der Landsbanki doch mindestens zehn Leute gegeben haben, die Stefan Alfsson erkannten, als er in die Bank spazierte, und die zu ihm sagten: »Stefan, du bist Fischer!« Aber das sagte niemand. Und das sagt bis heute niemand. »Wenn ich wieder in einer Bank arbeite«, erklärt mir der Kabeljaufischer, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hat, »dann gehe ich ins Privatgeschäft.«
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Im Jahr 2001, kurz nachdem die Internetblase geplatzt war, erschien in einer Fachzeitschrift des MIT ein faszinierender Artikel, der dem Zusammenhang zwischen Männlichkeit und Anlageverhalten nachging. 2 Die Autoren erhielten Zugang zu Daten von 35 000 Haushalten und verglichen das Anlageverhalten von Männern und Frauen. Dabei fanden sie heraus, dass Männer nicht nur öfter an der Börse spekulieren als |60| Frauen, sondern dass sie obendrein ein falsches Vertrauen in ihr Urteilsvermögen in Finanzfragen mitbringen. Alleinstehende Männer verloren mehr Geld als verheiratete Männer, verheiratete Männer mehr als alleinstehende Frauen: Je geringer der weibliche Einfluss, desto irrationaler das Anlageverhalten der Männer.
Sowohl am isländischen Crash als auch an dem der Wall Street waren auffällig wenige Frauen beteiligt. Frauen arbeiteten zwar auch in Banken, aber nicht in Positionen, in denen sie große Risiken eingingen. Meines Wissens war während des gesamten Island-Booms nur eine einzige Frau in einer leitenden Position einer isländischen Bank, nämlich Kirsten Pétursdóttir, die im Jahr 2005 stellvertretende Vorstandschefin von Kaupthing in London wurde. »Die Finanzkultur wird von Männern beherrscht«, sagt sie. »Es ist ein Haifischbecken. Frauen meiden diese Kultur.« Trotzdem gefiel Pétursdóttir die Finanzwelt. Es gefiel ihr nur nicht, wie isländische Männer sie angingen, weshalb sie im Jahr 2006 kündigte. »Die Leute haben mir damals gesagt, dass ich spinne«, erinnert sie sich. Aber sie wollte ein Finanzunternehmen gründen, das nur von Frauen geleitet wurde, um, wie sie es ausdrückt, »weibliche Werte in die Finanzwelt zu bringen«.
Ihr Unternehmen ist heute eines der wenigen auf ganz Island, das noch Gewinne macht. Nach dem Crash strömte plötzlich das Geld herein. Ein paar Tage vor unserem Gespräch hämmerte zum Beispiel in den frühen Morgenstunden jemand an ihre Tür. Als sie öffnete, stand ein alter Mann vor ihr. »Ich habe das System so satt!«, rief er. »Ich will einfach nur, dass eine Frau auf mein Geld aufpasst.«
Daran muss ich denken, als ich an meinem letzten Nachmittag auf Island durch das Saga-Museum gehe. Das Museum |61| feiert die Sagas, die großen isländischen Heldenepen des 12. und 13. Jahrhunderts, doch die Darstellungen wirken eher so, als wären sie einer modernen Reality-Show entsprungen. Lebensgroße Nordmänner aus Silikon stellen historische Szenen nach, während aus Lautsprechern markerschütternde Schreie gellen. Ein katholischer Bischof namens Jón Arason wird geköpft, eine ketzerische Nonne namens Schwester Katrin bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ein blutüberströmter Wikinger bohrt in der Schlacht einem Feind sein Schwert in den Leib. Die Isländer haben keine Kosten und Mühen
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